03.07.2019 19:32 | Mittelbayerische Zeitung | Presseschau
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel: Höchststrafe für die Ankläger/Die Staatsanwaltschaft vermutete in Regensburg einen Korruptionssumpf. Übrig blieb davon nichts/von Josef Pöllmann
Regensburg (ots) - Endlich Gewissheit. Nach 60 Prozesstagen
verlässt Joachim Wolbergs das Landgericht Regensburg ohne Strafe. Die
Richter wischten in der Urteilsbegründung Anklagepunkt um
Anklagepunkt vom Tisch. Übrig blieb eine Vorteilsnahme in zwei Fällen
für Spenden in Höhe von 150 000 Euro zwischen 2015 und 2016, als
Wolbergs schon OB war. Aber auch hier sah die Strafkammer keine
Anhaltspunkte, dass er von Strohmannspenden wusste oder mit ihnen
rechnete. Ein Verstoß gegen das Parteiengesetz kam deswegen nicht in
Betracht. Für Joachim Wolbergs ist dieses Urteil ein gefühlter
Freispruch. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Landesanwaltschaft
die Suspendierung vom OB-Amt aufhebt und ihn ins Alte Rathaus
zurücklässt. Auch wenn die Behörde gestern noch auf die Bremse trat
und das Urteil erst einmal bewerten will, kann am Ende nur ein klares
Ja stehen. Denn nach dem Mammutprozess steht fest: Der OB war nicht
käuflich. Eine nun mögliche Revision beim Bundesgerichtshof und
weitere Prozesse, die gegen Wolbergs anstehen, sehen nach der
Beweislage im beendeten Verfahren sogar Justiz-Experten kritisch.
Wolbergs wird sich im Klaren darüber sein, dass er trotz des
Freispruchs in Regensburg viele Sympathien verloren hat. Seine
fehlenden Management-Qualitäten, die im Prozess zur Sprache kamen,
dürften einstige Fans erschreckt haben. Immer wieder entschuldigte er
sich vor Gericht mit Schludrigkeiten. Er gab zu, in
Vertragsbesprechungen beim Notar nicht zugehört zu haben. Bei
wichtigen Themen habe er Mails nicht gelesen. Wolbergs wäre beinahe
an sich selbst gescheitert. Denn das Verfahren war ein
Indizienprozess, in dem am Ende nur zählte, wem das Gericht mehr
Glauben schenkt. Und Wolbergs hatte Glück, dass es ihm mehr glaubte.
Paradox ist: Gerade für diese Hemdsärmeligkeit in seiner Amtsführung
hatten ihn viele Regensburger geschätzt. Hier eine Hilfe, da eine
Unterstützung. Wolbergs, der Kümmerer. Die Menschen glaubten, "Wolli"
sei einer von ihnen - kein steriler Aktenfresser. Wenn er ins Amt
zurückkehrt, werden die Regensburger einen zurückhaltenderen Joachim
Wolbergs erleben. Die Regensburger Stadtverwaltung hat jetzt die
Aufgabe, die Folgen des Prozesses aufzuarbeiten. Ob es intern dafür
Personen mit Leader-Fähigkeiten gibt, die das können, ist unklar.
Dabei braucht es eine genaue Analyse und Antworten auf wichtige
Fragen: Wie nah dürfen sich Politik und Wirtschaft kommen? Dass ein
Stadtratsmitglied in der Vorbereitung von Ausschreibungen Dokumente
an Bauträger herausgibt, ist ein Unding. Und: Wie ernst nimmt das
Personal Regelungen gegen Korruption? Denn die Haltung von
Führungskräften und die Sensibilität der Mitarbeiter sind genauso
wichtig wie eine funktionierende Anti-Korruptionsrichtlinie. Eine
weitere Behörde kämpft nach dem Urteil im Fall Wolbergs um ihr
Ansehen: die Regensburger Staatsanwaltschaft. Die vielen Pannen, die
sich Ankläger und Polizei seit dem Beginn der Ermittlungen geleistet
haben, bedürfen der Aufklärung. Die Richterin klagte mehrmals über
diese Schlampereien und konstatierte, die
Telekommunikationsüberwachung habe "nichts als Ärger" bereitet. Damit
meinte sie nicht nur Gespräche, die Privatangelegenheiten der
Angeklagten betrafen oder Telefonate mit Verteidigern, die nicht
gelöscht wurden. Skandalös waren die Verschriftungen der
Telefonüberwachung, in denen entscheidende und entlastende Passagen
fehlten oder falsch interpretiert wurden. Mehrmals war vor Gericht
von erheblichen Grundrechtsverstößen die Rede. Clemens Prokop, der
künftige Chef der Staatsanwaltschaft, hat eine Herkulesaufgabe vor
sich. Er muss eine Untersuchung anstoßen, aufklären und Schuldige
klar benennen, um das Misstrauen gegen die Ankläger dauerhaft
auszuräumen.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell
verlässt Joachim Wolbergs das Landgericht Regensburg ohne Strafe. Die
Richter wischten in der Urteilsbegründung Anklagepunkt um
Anklagepunkt vom Tisch. Übrig blieb eine Vorteilsnahme in zwei Fällen
für Spenden in Höhe von 150 000 Euro zwischen 2015 und 2016, als
Wolbergs schon OB war. Aber auch hier sah die Strafkammer keine
Anhaltspunkte, dass er von Strohmannspenden wusste oder mit ihnen
rechnete. Ein Verstoß gegen das Parteiengesetz kam deswegen nicht in
Betracht. Für Joachim Wolbergs ist dieses Urteil ein gefühlter
Freispruch. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Landesanwaltschaft
die Suspendierung vom OB-Amt aufhebt und ihn ins Alte Rathaus
zurücklässt. Auch wenn die Behörde gestern noch auf die Bremse trat
und das Urteil erst einmal bewerten will, kann am Ende nur ein klares
Ja stehen. Denn nach dem Mammutprozess steht fest: Der OB war nicht
käuflich. Eine nun mögliche Revision beim Bundesgerichtshof und
weitere Prozesse, die gegen Wolbergs anstehen, sehen nach der
Beweislage im beendeten Verfahren sogar Justiz-Experten kritisch.
Wolbergs wird sich im Klaren darüber sein, dass er trotz des
Freispruchs in Regensburg viele Sympathien verloren hat. Seine
fehlenden Management-Qualitäten, die im Prozess zur Sprache kamen,
dürften einstige Fans erschreckt haben. Immer wieder entschuldigte er
sich vor Gericht mit Schludrigkeiten. Er gab zu, in
Vertragsbesprechungen beim Notar nicht zugehört zu haben. Bei
wichtigen Themen habe er Mails nicht gelesen. Wolbergs wäre beinahe
an sich selbst gescheitert. Denn das Verfahren war ein
Indizienprozess, in dem am Ende nur zählte, wem das Gericht mehr
Glauben schenkt. Und Wolbergs hatte Glück, dass es ihm mehr glaubte.
Paradox ist: Gerade für diese Hemdsärmeligkeit in seiner Amtsführung
hatten ihn viele Regensburger geschätzt. Hier eine Hilfe, da eine
Unterstützung. Wolbergs, der Kümmerer. Die Menschen glaubten, "Wolli"
sei einer von ihnen - kein steriler Aktenfresser. Wenn er ins Amt
zurückkehrt, werden die Regensburger einen zurückhaltenderen Joachim
Wolbergs erleben. Die Regensburger Stadtverwaltung hat jetzt die
Aufgabe, die Folgen des Prozesses aufzuarbeiten. Ob es intern dafür
Personen mit Leader-Fähigkeiten gibt, die das können, ist unklar.
Dabei braucht es eine genaue Analyse und Antworten auf wichtige
Fragen: Wie nah dürfen sich Politik und Wirtschaft kommen? Dass ein
Stadtratsmitglied in der Vorbereitung von Ausschreibungen Dokumente
an Bauträger herausgibt, ist ein Unding. Und: Wie ernst nimmt das
Personal Regelungen gegen Korruption? Denn die Haltung von
Führungskräften und die Sensibilität der Mitarbeiter sind genauso
wichtig wie eine funktionierende Anti-Korruptionsrichtlinie. Eine
weitere Behörde kämpft nach dem Urteil im Fall Wolbergs um ihr
Ansehen: die Regensburger Staatsanwaltschaft. Die vielen Pannen, die
sich Ankläger und Polizei seit dem Beginn der Ermittlungen geleistet
haben, bedürfen der Aufklärung. Die Richterin klagte mehrmals über
diese Schlampereien und konstatierte, die
Telekommunikationsüberwachung habe "nichts als Ärger" bereitet. Damit
meinte sie nicht nur Gespräche, die Privatangelegenheiten der
Angeklagten betrafen oder Telefonate mit Verteidigern, die nicht
gelöscht wurden. Skandalös waren die Verschriftungen der
Telefonüberwachung, in denen entscheidende und entlastende Passagen
fehlten oder falsch interpretiert wurden. Mehrmals war vor Gericht
von erheblichen Grundrechtsverstößen die Rede. Clemens Prokop, der
künftige Chef der Staatsanwaltschaft, hat eine Herkulesaufgabe vor
sich. Er muss eine Untersuchung anstoßen, aufklären und Schuldige
klar benennen, um das Misstrauen gegen die Ankläger dauerhaft
auszuräumen.
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