15.02.2019 19:50 | Mittelbayerische Zeitung | Presseschau
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Mittelbayerische Zeitung: Puzzleteile sammeln an der Isar/In einer Welt, die von Chaos und Unsicherheit geprägt wird, ist das Reden miteinander schon ein Wert an sich. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots) - Gustav Stresemann, der legendäre
nationalliberale Außenminister der Weimarer Republik, hinterließ der
Nachwelt nicht nur den nach ihm benannten Anzug. Bleibendes Ansehen
erwarb er sich vor allem damit, in der Außenpolitik immer auch nach
den Interessen der anderen Nationen zu fragen, die Welt aus den Augen
der anderen zu betrachten. Stresemann, dem es diplomatisch gelang,
die Lasten des Versailler Vertrages für Deutschland zu mildern,
dachte multilateral, gerade weil dies der eigenen Nation diente. Die
Münchner Sicherheitskonferenz, jahrzehntelang eine Art
nordatlantisches Klassentreffen, hat sich zu einem Diskussionsforum
sehr unterschiedlicher internationaler Akteure gemausert. Und gerade
jetzt, da Chaos, Ungewissheit und Unsicherheit die Weltbühne
bestimmen, da Abrüstungsverträge zerrissen werden und der
Nationalismus marschiert, ist ein Format wie das an der Isar so enorm
wichtig. Die Erwartungen sind riesig, wenngleich von der Konferenz
keine Wunderdinge zu erwarten sind. Das Treffen der Elite der
Diplomatie kann die internationalen Beziehungen nicht wieder in
Ordnung bringen. Wer sammelt jetzt die Puzzleteile auf, hatte
Wolfgang Ischinger im Vorfeld der Konferenz wenig optimistisch
gefragt. Zumindest kann das Reden miteinander, über gravierende
Unterschiede und erhebliche Differenzen hinweg, dabei helfen, die
Puzzleteile der internationalen Sicherheit auf dem Tisch zu behalten.
Das ist zwar nicht viel, aber immerhin mehr als nichts, mehr als
weitere Eskalation, mehr als die weitere Verschlechterung der
internationalen Beziehungen. Ein mächtiges Deutschland mache ihm
weniger Angst als ein untätiges, meinte der ehemalige polnische
Außenminister Radek Sikorski. In einer Zeit, in der
Großmachtkonflikte aufflammen, in der America-first-Präsident Donald
Trump das nordatlantische Bündnis infrage stellt und
Handelsstreitereien mit China und der EU anzettelt, in der Putin
vertragswidrig neue Mittelstreckenraketen in Stellung bringt, müsste
Deutschland eigentlich mehr internationale Verantwortung übernehmen.
Doch Berlin tut sich schwer damit, diese neue Rolle auch zu
übernehmen, und verschanzt sich lieber hinter der EU. Wo ist
eigentlich die deutsche Initiative, um das sich lange schon
abzeichnende Ende des INF-Vertrages noch abzuwenden? Wo ist der
Versuch, die beiden Alphatiere Trump und Putin einzuhegen, damit die
nicht ein neues atomares Wettrüsten vom Zaume brechen? Hans-Dietrich
Genscher wäre vermutlich die letzten Wochen unermüdlich zwischen
Washington und Moskau, zwischen Brüssel, London und Paris hin und her
gependelt. Derlei Pendeldiplomatie ist von Heiko Maas nicht zu
erkennen. So richtig brandgefährlich für Europa können Putins neue
Raketen werden. Aber auch die sind nicht neu. Zum Glück fordert nun
niemand, von vereinzelten Stimmen in Polen abgesehen, dass der Westen
ebenfalls mit neuen Atomraketen auf die russische Bedrohung
antwortet. Doch zumindest müsste Moskau militärisch eine wirkliche
konventionelle Antwort, man könnte auch sagen Abschreckung,
entgegengesetzt werden. Die Bundeswehr im jetzigen Zustand kann das
nicht leisten. Auf der anderen Seite jedoch muss sich Berlin, der
Westen insgesamt, eingestehen, dass die - freilich nur halbherzigen -
Sanktionen gegen Russland die Sicherheit nicht erhöht, Moskau nicht
zur Umkehr bewegt haben. Die ehemaligen Ostblock-Staaten vom
Schwarzen Meer bis ins Baltikum wurden in EU und Nato integriert.
Russland dagegen wurde, nach einigen Jahren des Tauwetters in den
1990er Jahren und Anfang der 2000er Jahre, die eisigkalte Schulter
gezeigt. Auch über dieses Puzzle sollte in München diskutiert werden.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell
nationalliberale Außenminister der Weimarer Republik, hinterließ der
Nachwelt nicht nur den nach ihm benannten Anzug. Bleibendes Ansehen
erwarb er sich vor allem damit, in der Außenpolitik immer auch nach
den Interessen der anderen Nationen zu fragen, die Welt aus den Augen
der anderen zu betrachten. Stresemann, dem es diplomatisch gelang,
die Lasten des Versailler Vertrages für Deutschland zu mildern,
dachte multilateral, gerade weil dies der eigenen Nation diente. Die
Münchner Sicherheitskonferenz, jahrzehntelang eine Art
nordatlantisches Klassentreffen, hat sich zu einem Diskussionsforum
sehr unterschiedlicher internationaler Akteure gemausert. Und gerade
jetzt, da Chaos, Ungewissheit und Unsicherheit die Weltbühne
bestimmen, da Abrüstungsverträge zerrissen werden und der
Nationalismus marschiert, ist ein Format wie das an der Isar so enorm
wichtig. Die Erwartungen sind riesig, wenngleich von der Konferenz
keine Wunderdinge zu erwarten sind. Das Treffen der Elite der
Diplomatie kann die internationalen Beziehungen nicht wieder in
Ordnung bringen. Wer sammelt jetzt die Puzzleteile auf, hatte
Wolfgang Ischinger im Vorfeld der Konferenz wenig optimistisch
gefragt. Zumindest kann das Reden miteinander, über gravierende
Unterschiede und erhebliche Differenzen hinweg, dabei helfen, die
Puzzleteile der internationalen Sicherheit auf dem Tisch zu behalten.
Das ist zwar nicht viel, aber immerhin mehr als nichts, mehr als
weitere Eskalation, mehr als die weitere Verschlechterung der
internationalen Beziehungen. Ein mächtiges Deutschland mache ihm
weniger Angst als ein untätiges, meinte der ehemalige polnische
Außenminister Radek Sikorski. In einer Zeit, in der
Großmachtkonflikte aufflammen, in der America-first-Präsident Donald
Trump das nordatlantische Bündnis infrage stellt und
Handelsstreitereien mit China und der EU anzettelt, in der Putin
vertragswidrig neue Mittelstreckenraketen in Stellung bringt, müsste
Deutschland eigentlich mehr internationale Verantwortung übernehmen.
Doch Berlin tut sich schwer damit, diese neue Rolle auch zu
übernehmen, und verschanzt sich lieber hinter der EU. Wo ist
eigentlich die deutsche Initiative, um das sich lange schon
abzeichnende Ende des INF-Vertrages noch abzuwenden? Wo ist der
Versuch, die beiden Alphatiere Trump und Putin einzuhegen, damit die
nicht ein neues atomares Wettrüsten vom Zaume brechen? Hans-Dietrich
Genscher wäre vermutlich die letzten Wochen unermüdlich zwischen
Washington und Moskau, zwischen Brüssel, London und Paris hin und her
gependelt. Derlei Pendeldiplomatie ist von Heiko Maas nicht zu
erkennen. So richtig brandgefährlich für Europa können Putins neue
Raketen werden. Aber auch die sind nicht neu. Zum Glück fordert nun
niemand, von vereinzelten Stimmen in Polen abgesehen, dass der Westen
ebenfalls mit neuen Atomraketen auf die russische Bedrohung
antwortet. Doch zumindest müsste Moskau militärisch eine wirkliche
konventionelle Antwort, man könnte auch sagen Abschreckung,
entgegengesetzt werden. Die Bundeswehr im jetzigen Zustand kann das
nicht leisten. Auf der anderen Seite jedoch muss sich Berlin, der
Westen insgesamt, eingestehen, dass die - freilich nur halbherzigen -
Sanktionen gegen Russland die Sicherheit nicht erhöht, Moskau nicht
zur Umkehr bewegt haben. Die ehemaligen Ostblock-Staaten vom
Schwarzen Meer bis ins Baltikum wurden in EU und Nato integriert.
Russland dagegen wurde, nach einigen Jahren des Tauwetters in den
1990er Jahren und Anfang der 2000er Jahre, die eisigkalte Schulter
gezeigt. Auch über dieses Puzzle sollte in München diskutiert werden.
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