04.10.2018 20:30 | Börsen-Zeitung | Presseschau
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Börsen-Zeitung: Persilschein für die EZB, Kommentar zum Europäischen Gerichtshof von Stephan Lorz
Frankfurt (ots) - Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank
(EZB) ist ein hohes Gut - so "hoch", dass diese Institution in
europäischen Kreisen offenbar über alle Kritik erhaben scheint. Eine
Kontrolle ihrer Handlungen gibt es faktisch nicht. Denn der
Europäische Gerichtshof (EuGH), der hierzu rechtlich in der Pflicht
wäre, stellt den Notenbankern regelmäßig einen Persilschein aus.
Darauf läuft es wohl auch im jüngsten Verfahren über die
Rechtmäßigkeit der Staatsanleihekäufe hinaus.
Die Verfassungskläger gegen die unkonventionelle EZB-Politik sehen
hierin einen Verstoß gegen das Verbot der monetären
Staatsfinanzierung, einen Fehlanreiz für die Haushaltspolitik, und
sorgen sich um das Budgetrecht der Parlamente. Das
Bundesverfassungsgericht hat hierzu dem EuGH Fragen vorgelegt und
erkennen lassen, dass es den EZB-Kurs selber sehr kritisch sieht.
Doch Melchior Wathelet, der Generalanwalt des EuGH, sieht in seinem
Plädoyer keine Verfehlung der EZB, übernimmt sogar deren
Argumentation und schlägt den deutschen Richtern vor, die Klage
abzuschmettern.
Natürlich wirkt jede Art der Geldpolitik über die Beeinflussung
der Zinsen auf die nationale Haushaltspolitik durch. Aber der Kauf
von Staatsanleihen schlägt hier aus der Reihe, weil er die
Staatsfinanzierung direkt verbilligt. Und entgegen den Ausführungen
des Anwalts hat dies stets Rückwirkungen auf das Verhalten der
Haushaltspolitiker: Verschuldung wird günstiger, Konsolidierung
weniger dringlich.
Dass die Defizite in der Eurozone seit kurzem geringer ausfallen,
ist also nicht unbedingt der Sparpolitik zuzuschreiben, wie Wathelet
behauptet, sondern vor allem den niedrigen Zinsen. Die Forderung der
früheren Eurokrisenländer, die EZB solle die Kurswende hinauszögern,
spricht Bände. Zudem wurden die Euro-Notenbanken durch ihr Handeln zu
den größten Gläubigern der Eurostaaten. Das macht die Zentralbanker
erpressbar und untergräbt ihre Unabhängigkeit. Und dass bislang keine
Anleiheausfälle zu beklagen waren, ist noch kein Beleg für die vom
Generalanwalt unterstellte Gefahrlosigkeit des EZB-Kurses für die
Parlamentsrechte.
Wathelet vertraut allein auf die "Garantien" der EZB: ihre
Kaufobergrenzen und Qualitätsanforderungen. Doch es fehlt die
ökonomische Folgenabschätzung. Die durch die EZB bewirkten
Verhaltensänderungen und Marktverwerfungen zeigen sich erst mit
Zeitverzug. In der nächsten Krise dürften die Kaufgrenzen dann nicht
mehr zu halten sein und die EZB wird vollends zum Staatsfinanzierer.
Um seine Kontrollpflicht zu erfüllen, müsste der EuGH daher stets die
ganze Entwicklung berücksichtigen.
Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de
Original-Content von: Börsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell
(EZB) ist ein hohes Gut - so "hoch", dass diese Institution in
europäischen Kreisen offenbar über alle Kritik erhaben scheint. Eine
Kontrolle ihrer Handlungen gibt es faktisch nicht. Denn der
Europäische Gerichtshof (EuGH), der hierzu rechtlich in der Pflicht
wäre, stellt den Notenbankern regelmäßig einen Persilschein aus.
Darauf läuft es wohl auch im jüngsten Verfahren über die
Rechtmäßigkeit der Staatsanleihekäufe hinaus.
Die Verfassungskläger gegen die unkonventionelle EZB-Politik sehen
hierin einen Verstoß gegen das Verbot der monetären
Staatsfinanzierung, einen Fehlanreiz für die Haushaltspolitik, und
sorgen sich um das Budgetrecht der Parlamente. Das
Bundesverfassungsgericht hat hierzu dem EuGH Fragen vorgelegt und
erkennen lassen, dass es den EZB-Kurs selber sehr kritisch sieht.
Doch Melchior Wathelet, der Generalanwalt des EuGH, sieht in seinem
Plädoyer keine Verfehlung der EZB, übernimmt sogar deren
Argumentation und schlägt den deutschen Richtern vor, die Klage
abzuschmettern.
Natürlich wirkt jede Art der Geldpolitik über die Beeinflussung
der Zinsen auf die nationale Haushaltspolitik durch. Aber der Kauf
von Staatsanleihen schlägt hier aus der Reihe, weil er die
Staatsfinanzierung direkt verbilligt. Und entgegen den Ausführungen
des Anwalts hat dies stets Rückwirkungen auf das Verhalten der
Haushaltspolitiker: Verschuldung wird günstiger, Konsolidierung
weniger dringlich.
Dass die Defizite in der Eurozone seit kurzem geringer ausfallen,
ist also nicht unbedingt der Sparpolitik zuzuschreiben, wie Wathelet
behauptet, sondern vor allem den niedrigen Zinsen. Die Forderung der
früheren Eurokrisenländer, die EZB solle die Kurswende hinauszögern,
spricht Bände. Zudem wurden die Euro-Notenbanken durch ihr Handeln zu
den größten Gläubigern der Eurostaaten. Das macht die Zentralbanker
erpressbar und untergräbt ihre Unabhängigkeit. Und dass bislang keine
Anleiheausfälle zu beklagen waren, ist noch kein Beleg für die vom
Generalanwalt unterstellte Gefahrlosigkeit des EZB-Kurses für die
Parlamentsrechte.
Wathelet vertraut allein auf die "Garantien" der EZB: ihre
Kaufobergrenzen und Qualitätsanforderungen. Doch es fehlt die
ökonomische Folgenabschätzung. Die durch die EZB bewirkten
Verhaltensänderungen und Marktverwerfungen zeigen sich erst mit
Zeitverzug. In der nächsten Krise dürften die Kaufgrenzen dann nicht
mehr zu halten sein und die EZB wird vollends zum Staatsfinanzierer.
Um seine Kontrollpflicht zu erfüllen, müsste der EuGH daher stets die
ganze Entwicklung berücksichtigen.
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