31.05.2023 05:00 | NDR Norddeutscher Rundfunk | Medien / Kultur
1 00,00 0 Bewertung(en) Bewertung schreiben
1 00,00 0 Bewertung(en) Bewertung schreiben
Mehr als 14.000 Gefährdete aus Afghanistan warten auf Ausreise nach Deutschland
Hamburg (ots) -
14.080 Gefährdete aus Afghanistan warten trotz Aufnahmezusage seit Monaten auf die Ausreise nach Deutschland. 1480 von ihnen befinden sich in Pakistan und im Iran, die große Mehrheit noch in Afghanistan, teilte das Auswärtige Amt NDR Info mit. Mehrere tausend weitere Menschenrechtlerinnen, Journalisten, Politikerinnen und andere Bedrohte stecken derzeit laut Bundesinnenministerium im Antragsprozess des Bundesaufnahmeprogramms fest. Das Bundesaufnahmeprogramm ist seit zwei Monaten wegen Sicherheitsbedenken ausgesetzt. Es soll im Juni mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen wieder anlaufen.
Ende März hatte die Bundesregierung die Visavergabe und Einreise von besonders Gefährdeten aus Afghanistan über das Bundesaufnahmeprogramm vorübergehend gestoppt, also etwa für Frauen- und Menschenrechtlerinnen, Regimegegner, Angehörige verfolgter Minderheiten oder Mitarbeitende der 2021 gestürzten Regierung. Der Bundesregierung liegen nach Angaben des Auswärtigen Amtes "Hinweise auf mögliche Missbrauchsversuche im Rahmen der laufenden Aufnahmeverfahren aus Afghanistan vor". Lediglich in einem einzelnen Fall sei aber davon auszugehen, dass es sich um einen Gefährder handelte. Diese Missbrauchsversuche wurden laut einer Ministeriumssprecherin im Visaverfahren entdeckt und unterbunden. Dennoch wurden Ausreisen von Personen mit Aufnahmezusagen komplett ausgesetzt, auch von ehemaligen Ortskräften der Bundesregierung.
In Pakistan und im Iran warten afghanische Familien mit Aufnahmezusage derzeit vergeblich auf ihre Visa für die Ausreise nach Deutschland. Manche sind in der Zwischenzeit obdachlos geworden, können wegen Drohungen der Taliban nicht zurück nach Afghanistan, dürfen nicht nach Deutschland und haben in Pakistan keine Lebensgrundlage. Unter den Wartenden sind Menschen, die von den Taliban mit dem Tod bedroht werden. Die afghanische Politikerin Feroza Ahmadzai etwa hatte im vergangenen August eine Aufnahmezusage des Bundesinnenministeriums bekommen. Die 43-jährige Frauenrechtlerin war von den Taliban in der zentralafghanischen Provinz Logar schriftlich mit dem Tod bedroht worden. Entsprechende Dokumente liegen NDR Info vor. Zusammen mit ihrem Mann, einem ehemaligen Berater im Kabuler Präsidentenpalast, und fünf kleinen Kindern war Ahmadzai im Oktober 2022 zu Gesprächen in der Deutschen Botschaft in Islamabad. Eines führten sie mit einem Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums. Die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ brachte die afghanische Familie im Auftrag und auf Kosten der Bundesregierung fünf Monate lang in einem Hotel in Pakistans Hauptstadt unter. Mehrfach gab es Kontakt über mögliche Flüge zur Ausreise nach Deutschland. Ende März dieses Jahres wurde die Aufnahmezusage dann aber überraschend und ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Familie kann sich das nicht erklären und bat wiederholt um ein Gespräch mit den deutschen Behörden. Das Auswärtige Amt (AA) antwortete NDR Info, es könne sich "aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und des Datenschutzes grundsätzlich nicht zu Einzelfällen äußern".
Die Bundesregierung arbeitet laut AA an der "schnellstmöglichen Wiederaufnahme der Ausreisen aus Afghanistan und Visumbearbeitung von Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage". Man sei zuversichtlich, "dass wir in den nächsten Wochen die angepassten Sicherheitsmechanismen, die auch Sicherheitsinterviews beinhalten, im Verfahren umsetzen können und dementsprechend die Verfahren wieder aufnehmen können". Eine Visaerteilung in der iranischen Hauptstadt Teheran ist künftig aber nicht mehr möglich, so dass die Deutsche Botschaft in Islamabad nach Einschätzung Verfahrensbeteiligter zum Nadelöhr für Antragstellende wird.
Hilfsorganisationen und Opposition kritisieren den Stopp der Einreisen Gefährdeter aus Afghanistan scharf. Axel Steier, Gründer von Mission Lifeline sagte NDR Info: "Wir haben da so viele Jahre Geld reingesteckt, wir haben den Menschen Versprechungen gemacht. Wir haben den Leuten die Zukunft versprochen, und jetzt lassen sie sie im Regen stehen. Das ist nicht nachvollziehbar." Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Clara Bünger, sieht "keine Anhaltspunkte, warum das Überprüfungssystem vor Ort falsch sein sollte", weil es bei der Aufdeckung der Missbrauchsversuche ja funktioniert habe. Laut Bünger zählt jetzt jeder Tag, weil die Betroffenen in ganz konkreter Gefahr seien. "Es kann auch Leben gefährden, wie wir auch in der Vergangenheit schon gesehen haben."
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Unternehmenskommunikation
Presse und Kommunikation
Wibke Harms
Mail: presse@ndr.de
Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell
14.080 Gefährdete aus Afghanistan warten trotz Aufnahmezusage seit Monaten auf die Ausreise nach Deutschland. 1480 von ihnen befinden sich in Pakistan und im Iran, die große Mehrheit noch in Afghanistan, teilte das Auswärtige Amt NDR Info mit. Mehrere tausend weitere Menschenrechtlerinnen, Journalisten, Politikerinnen und andere Bedrohte stecken derzeit laut Bundesinnenministerium im Antragsprozess des Bundesaufnahmeprogramms fest. Das Bundesaufnahmeprogramm ist seit zwei Monaten wegen Sicherheitsbedenken ausgesetzt. Es soll im Juni mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen wieder anlaufen.
Ende März hatte die Bundesregierung die Visavergabe und Einreise von besonders Gefährdeten aus Afghanistan über das Bundesaufnahmeprogramm vorübergehend gestoppt, also etwa für Frauen- und Menschenrechtlerinnen, Regimegegner, Angehörige verfolgter Minderheiten oder Mitarbeitende der 2021 gestürzten Regierung. Der Bundesregierung liegen nach Angaben des Auswärtigen Amtes "Hinweise auf mögliche Missbrauchsversuche im Rahmen der laufenden Aufnahmeverfahren aus Afghanistan vor". Lediglich in einem einzelnen Fall sei aber davon auszugehen, dass es sich um einen Gefährder handelte. Diese Missbrauchsversuche wurden laut einer Ministeriumssprecherin im Visaverfahren entdeckt und unterbunden. Dennoch wurden Ausreisen von Personen mit Aufnahmezusagen komplett ausgesetzt, auch von ehemaligen Ortskräften der Bundesregierung.
In Pakistan und im Iran warten afghanische Familien mit Aufnahmezusage derzeit vergeblich auf ihre Visa für die Ausreise nach Deutschland. Manche sind in der Zwischenzeit obdachlos geworden, können wegen Drohungen der Taliban nicht zurück nach Afghanistan, dürfen nicht nach Deutschland und haben in Pakistan keine Lebensgrundlage. Unter den Wartenden sind Menschen, die von den Taliban mit dem Tod bedroht werden. Die afghanische Politikerin Feroza Ahmadzai etwa hatte im vergangenen August eine Aufnahmezusage des Bundesinnenministeriums bekommen. Die 43-jährige Frauenrechtlerin war von den Taliban in der zentralafghanischen Provinz Logar schriftlich mit dem Tod bedroht worden. Entsprechende Dokumente liegen NDR Info vor. Zusammen mit ihrem Mann, einem ehemaligen Berater im Kabuler Präsidentenpalast, und fünf kleinen Kindern war Ahmadzai im Oktober 2022 zu Gesprächen in der Deutschen Botschaft in Islamabad. Eines führten sie mit einem Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums. Die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ brachte die afghanische Familie im Auftrag und auf Kosten der Bundesregierung fünf Monate lang in einem Hotel in Pakistans Hauptstadt unter. Mehrfach gab es Kontakt über mögliche Flüge zur Ausreise nach Deutschland. Ende März dieses Jahres wurde die Aufnahmezusage dann aber überraschend und ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Familie kann sich das nicht erklären und bat wiederholt um ein Gespräch mit den deutschen Behörden. Das Auswärtige Amt (AA) antwortete NDR Info, es könne sich "aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und des Datenschutzes grundsätzlich nicht zu Einzelfällen äußern".
Die Bundesregierung arbeitet laut AA an der "schnellstmöglichen Wiederaufnahme der Ausreisen aus Afghanistan und Visumbearbeitung von Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage". Man sei zuversichtlich, "dass wir in den nächsten Wochen die angepassten Sicherheitsmechanismen, die auch Sicherheitsinterviews beinhalten, im Verfahren umsetzen können und dementsprechend die Verfahren wieder aufnehmen können". Eine Visaerteilung in der iranischen Hauptstadt Teheran ist künftig aber nicht mehr möglich, so dass die Deutsche Botschaft in Islamabad nach Einschätzung Verfahrensbeteiligter zum Nadelöhr für Antragstellende wird.
Hilfsorganisationen und Opposition kritisieren den Stopp der Einreisen Gefährdeter aus Afghanistan scharf. Axel Steier, Gründer von Mission Lifeline sagte NDR Info: "Wir haben da so viele Jahre Geld reingesteckt, wir haben den Menschen Versprechungen gemacht. Wir haben den Leuten die Zukunft versprochen, und jetzt lassen sie sie im Regen stehen. Das ist nicht nachvollziehbar." Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Clara Bünger, sieht "keine Anhaltspunkte, warum das Überprüfungssystem vor Ort falsch sein sollte", weil es bei der Aufdeckung der Missbrauchsversuche ja funktioniert habe. Laut Bünger zählt jetzt jeder Tag, weil die Betroffenen in ganz konkreter Gefahr seien. "Es kann auch Leben gefährden, wie wir auch in der Vergangenheit schon gesehen haben."
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Unternehmenskommunikation
Presse und Kommunikation
Wibke Harms
Mail: presse@ndr.de
Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell
Schlagwörter
Das könnte Sie auch interessieren
Welthungerhilfe warnt vor Ablauf von Lindners Spar-Deadline vor weiteren Kürzungen der Entwicklungshilfe / Vorstandschef Mogge: Geld kann Leben retten - Aktuelle Kürzungen schon schmerzhaft genug
Osnabrück (ots) - Vor Ablauf der Spar-Deadline von Finanzminister Christian Lindner an die anderen Kabinettsmitglieder hat die Welthungerhilfe vor weiteren Kürzungen bei der Hunger- und Armutsbekämp...Artikel lesenGemeinsamer Appell für Demokratie und Mitmenschlichkeit - Der ASB-Jahresempfang 2024 in NRW
Köln (ots) - Der diesjährige Jahresempfang des ASB NRW e. V. stand ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit den derzeitigen rassistischen, rechts-extremistischen und menschenfeindlichen Entwicklun...Artikel lesenChristian Dürr (FDP): Wirtschaftswende bedeutet mehr Chancen für alle
Berlin/ Bonn (ots) - Christian Dürr (FDP) beklagt, dass in Deutschland "anderthalb Jahrzehnte" von der Vorgängerregierung keine Reformpolitik gemacht worden sei. Auf dem Parteitag der Liberalen sagt...Artikel lesenBijan Djir-Sarai (FDP): Wir wollen den Wohlstand in Deutschland vergrößern
Berlin (ots) - Bijan Djir-Sarai (FDP) fordert, in den kommenden "drei bis vier Jahren keine zusätzlichen Sozialausgaben einzuführen". Auf dem FDP-Bundesparteitag erklärt der Generalsekretär der Libe...Artikel lesenNeues Galeria-Filialportfolio / Wirtschaftliche Voraussetzungen für Warenhaus der Zukunft geschaffen: 76 Filialen können fortgeführt werden
Essen (ots) - Nachdem das Amtsgericht Essen am 1. April 2024 das Insolvenzverfahren eröffnet hat, sind nun weitere wichtige Schritte für die Zukunft des Warenhausunternehmens Galeria Karstadt Kaufho...Artikel lesenMeistgelesen
- Der goldene Hase in München (FOTO)
- Das Erste: "Verliebt in Kroatien" (FOTO)
- PwC: Authentifizierung per Fingerabdruck ist im Mobile Banking eine Generationenfrage
- DER BESTE EXPORT SEIT LEGO! / Standing Ovations für den LADYDOC aus Dänemark / Sensation beim 14. Internationalen Speaker Slam
- Masters of Dance: Perfekte Harmonie (FOTO)
Meist kommentiert
- Quietschgelber Bienenfutter Automat in Fischbachtal
- Stoppt die Überfischung in der Ostsee: Deutsche Umwelthilfe und Our Fish fordern konsequente Umsetzung der wissenschaftlichen Empfehlungen für 2022
- Der Hund ist, was er isst
- Das Erste: "Und wenn das fünfte Lichtlein brennt" (AT): Weihnachtliche Komödie mit Henning Baum, Elena Uhlig, Meike Droste, Michael Lott, Max von Pufendorf, Daniel Donskoy, Tim Kalkhof u.v.m. im Dreh (FOTO)
- Einzigartiges Quiz-Tainment am Vorabend: Ruth Moschner und Steven Gätjen moderieren neue Quiz-Shows in SAT.1 (FOTO)