27.09.2018 08:00 | Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe | Gesundheit / Medizin
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Urteil des Bundesozialgerichts: Gute Schlaganfall-Versorgung in Gefahr? (FOTO)
Foto: obs/Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe/Mario Leisle
Die akute Versorgung von Schlaganfall-Patienten gewährleisten bisher 320 zertifizierte Stroke Units in Deutschland. Weiterer Text über ots und www.presseportal.de/nr/23980 / Die Verwendung dieses Bildes ist für redaktionelle Zwecke honorarfrei. Veröffentlichung bitte unter Quellenangabe: "obs/Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe/Mario Leisle"
Gütersloh (ots) -
Medizinische Fachgesellschaften, Krankenhäuser und ihre Verbände
schlagen Alarm: ein Urteil des Bundessozialgerichts gefährdet nach
ihrer Auffassung die Versorgung von Schlaganfall-Patienten in
Deutschland. Auch die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe sorgt
sich, dass die aktuelle Auseinandersetzung zu einer Entwicklung
führen könnte, die am Ende Menschenleben kostet.
Die Materie ist komplex und hat eine lange Vorgeschichte. Die
Deutsche Schlaganfall-Hilfe feiert in diesem Jahr ihr 25jähriges
Jubiläum. In dieser Zeit hat sich in Deutschland die Sterblichkeit
nach Schlaganfall fast halbiert. Es sind vor allem zwei
Entwicklungen, die nach Ansicht der Stiftung dafür verantwortlich
sind: zum einen hat die unermüdliche Aufklärungsarbeit dazu geführt,
dass viel mehr Menschen einen Schlaganfall erkennen und rechtzeitig
in die Klinik kommen. Zum anderen verfügt Deutschland heute über eine
hervorragende Akut-Versorgung.
Stroke Units sind ein Erfolgskonzept
1994 eröffnete in Essen die erste Stroke Unit Deutschlands. Das
Konzept dieser Schlaganfall-Spezialstationen hat sich in den Jahren
danach weltweit durchgesetzt. Bis heute hat die Stiftung Deutsche
Schlaganfall-Hilfe gemeinsam mit der wissenschaftlichen
Fachgesellschaft, der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft, bundesweit
320 dieser Stroke Units zertifiziert. Die Stationen zeichnen sich aus
durch besonders qualifiziertes Personal und apparative Ausstattungen
wie CT oder MRT. Beides - kompetentes Personal und adäquate Technik -
müssen quasi rund um die Uhr verfügbar sein.
Unterschieden werden bei der Zertifizierung zwei
Versorgungsstufen. Regionale Stroke Units sind angemessen
ausgestattet für die Diagnostik und die Behandlung der überwiegenden
Zahl von Patienten. Überregionale Stroke Units verfügen darüber
hinaus über zusätzliche Behandlungsoptionen in einer Neuroradiologie
oder Neurochirurgie, die für weniger als zehn Prozent der Patienten
benötigt werden. Stellen Ärzte in einer regionalen Einheit die
Notwendigkeit eines solchen Eingriffes fest, verlegen sie den
Patienten umgehend in das nächstgelegene größere
Schlaganfall-Zentrum.
Abkehr von der alten Regelung
Dieses Modell hat sich in Deutschland über viele Jahre bewährt und
hat zuletzt auch in Europa Standards gesetzt. Für die Behandlung von
Schlaganfall-Patienten werden regionale Stroke Units im Rahmen einer
so genannten OPS-Komplexbehandlung besonders vergütet. Gekoppelt ist
diese Vergütung an bestimmte Leistungskriterien. Unter anderem müssen
die Stationen Patienten innerhalb von 30 Minuten in ein
überregionales Zentrum verlegen können. Dabei zählt - so wurde es
bisher gehandhabt - die Zeit zwischen Beginn und Ende des
Rettungstransportes im Krankenwagen oder Hubschrauber.
Das Bundessozialgericht Kassel hat diese Regelung mit einem Urteil
vom 19. Juni 2018 nun in Frage gestellt. Nach Ansicht des Gerichts
müsse sich die 30-Minuten-Regel auf die Zeit von der Entscheidung zur
Verlegung bis zur Weiterbehandlung in der annehmenden Klinik
beziehen. Eine Frist, so sagen Mediziner und Krankenhausbetreiber,
die nicht einmal in Ballungsgebieten einzuhalten sei. Zudem gebe es
keine wissenschaftlichen Studien, die eine solche Auslegung
rechtfertigten.
Vergütungen der Krankenhäuser gekürzt
Krankenkassen berufen sich nun auf dieses Urteil und beginnen,
Krankenhäusern ihre Vergütung deutlich zu kürzen und darüber hinaus
Rückforderungen für vergangene Jahre zu stellen. Unmittelbar Alarm
geschlagen haben die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die
Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft sowie die Deutsche
Krankenhausgesellschaft. Auch Landesministerien (Rheinland-Pfalz,
Baden Württemberg) haben einen dringenden Handlungsbedarf deutlich
gemacht und erhoffen sich eine Lösung aus dem
Bundesgesundheitsministerium.
Mit der deutlich gekürzten Vergütung für die regionalen Stroke
Units ist nach Ansicht der Kliniken die Behandlung nicht mehr
finanzierbar. Zumal diese Vergütung nicht nur für die kleine Anzahl
von Fällen, die tatsächlich eine Verlegung erfordern, gekürzt werden
soll, sondern pauschal für alle Schlaganfall-Patienten. Im
schlimmsten Fall könnten von den aktuell 320 zertifizierten Stroke
Units in Deutschland nur etwa 50 die geforderten Kriterien erfüllen.
Denn nicht einmal sämtliche überregionale Stroke Units verfügen über
eine neurochirurgische Abteilung im Haus und sind mitunter auf
Verlegungen angewiesen. Die anderen Kliniken, so warnen Mediziner und
Krankenhausbetreiber, könnten sich aus der hoch qualifizierten
Schlaganfall-Versorgung zurückziehen.
Dialog dringend notwendig
Was wäre die Folge? Viele Studien haben die hohe Wirksamkeit einer
Behandlung auf der Stroke Unit belegt. Deutlich mehr Patienten
überleben einen Schlaganfall und erleiden seltener schwere
Behinderungen. In Hessen hat sich eine Arbeitsgruppe von Neurologen
gebildet, die auf Basis von Studien berechnen will, wie viele
Menschen zusätzlich an einem Schlaganfall versterben oder in der
Folge schwer behindert sein könnten, wenn sich die
Versorgungslandschaft wie befürchtet verändert.
"Wir teilen die Sorgen vieler Kliniken, weil wir nicht nur in den
Ballungszentren, sondern auch im ländlichen Raum eine gute
Akutversorgung benötigen", sagt Dr. Michael Brinkmeier,
Vorstandvorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Hilfe. Die Stiftung
versteht sich als Fürsprecher der Patienten. "Nicht nachvollziehbar
ist für uns, warum ein bewährtes und erfolgreiches System jetzt durch
bürokratische Spitzfindigkeiten in Frage gestellt werden soll. Damit
kann eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die zur ernsthaften
Gefährdung von Patienten führt." Brinkmeier ruft alle Beteiligten
auf, in den Dialog zu treten und zeitnah zu pragmatischen Lösungen zu
kommen, die eine gute Versorgung der Patienten auch in der Fläche
gewährleisten.
Pressekontakt:
Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
Schulstraße 22, 33111 Gütersloh
Mario Leisle
Presssesprecher
Telefon: 05241 9770-12
E-Mail: presse@schlaganfall-hilfe.de
Internet: schlaganfall-hilfe.de
Original-Content von: Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, übermittelt durch news aktuell
Medizinische Fachgesellschaften, Krankenhäuser und ihre Verbände
schlagen Alarm: ein Urteil des Bundessozialgerichts gefährdet nach
ihrer Auffassung die Versorgung von Schlaganfall-Patienten in
Deutschland. Auch die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe sorgt
sich, dass die aktuelle Auseinandersetzung zu einer Entwicklung
führen könnte, die am Ende Menschenleben kostet.
Die Materie ist komplex und hat eine lange Vorgeschichte. Die
Deutsche Schlaganfall-Hilfe feiert in diesem Jahr ihr 25jähriges
Jubiläum. In dieser Zeit hat sich in Deutschland die Sterblichkeit
nach Schlaganfall fast halbiert. Es sind vor allem zwei
Entwicklungen, die nach Ansicht der Stiftung dafür verantwortlich
sind: zum einen hat die unermüdliche Aufklärungsarbeit dazu geführt,
dass viel mehr Menschen einen Schlaganfall erkennen und rechtzeitig
in die Klinik kommen. Zum anderen verfügt Deutschland heute über eine
hervorragende Akut-Versorgung.
Stroke Units sind ein Erfolgskonzept
1994 eröffnete in Essen die erste Stroke Unit Deutschlands. Das
Konzept dieser Schlaganfall-Spezialstationen hat sich in den Jahren
danach weltweit durchgesetzt. Bis heute hat die Stiftung Deutsche
Schlaganfall-Hilfe gemeinsam mit der wissenschaftlichen
Fachgesellschaft, der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft, bundesweit
320 dieser Stroke Units zertifiziert. Die Stationen zeichnen sich aus
durch besonders qualifiziertes Personal und apparative Ausstattungen
wie CT oder MRT. Beides - kompetentes Personal und adäquate Technik -
müssen quasi rund um die Uhr verfügbar sein.
Unterschieden werden bei der Zertifizierung zwei
Versorgungsstufen. Regionale Stroke Units sind angemessen
ausgestattet für die Diagnostik und die Behandlung der überwiegenden
Zahl von Patienten. Überregionale Stroke Units verfügen darüber
hinaus über zusätzliche Behandlungsoptionen in einer Neuroradiologie
oder Neurochirurgie, die für weniger als zehn Prozent der Patienten
benötigt werden. Stellen Ärzte in einer regionalen Einheit die
Notwendigkeit eines solchen Eingriffes fest, verlegen sie den
Patienten umgehend in das nächstgelegene größere
Schlaganfall-Zentrum.
Abkehr von der alten Regelung
Dieses Modell hat sich in Deutschland über viele Jahre bewährt und
hat zuletzt auch in Europa Standards gesetzt. Für die Behandlung von
Schlaganfall-Patienten werden regionale Stroke Units im Rahmen einer
so genannten OPS-Komplexbehandlung besonders vergütet. Gekoppelt ist
diese Vergütung an bestimmte Leistungskriterien. Unter anderem müssen
die Stationen Patienten innerhalb von 30 Minuten in ein
überregionales Zentrum verlegen können. Dabei zählt - so wurde es
bisher gehandhabt - die Zeit zwischen Beginn und Ende des
Rettungstransportes im Krankenwagen oder Hubschrauber.
Das Bundessozialgericht Kassel hat diese Regelung mit einem Urteil
vom 19. Juni 2018 nun in Frage gestellt. Nach Ansicht des Gerichts
müsse sich die 30-Minuten-Regel auf die Zeit von der Entscheidung zur
Verlegung bis zur Weiterbehandlung in der annehmenden Klinik
beziehen. Eine Frist, so sagen Mediziner und Krankenhausbetreiber,
die nicht einmal in Ballungsgebieten einzuhalten sei. Zudem gebe es
keine wissenschaftlichen Studien, die eine solche Auslegung
rechtfertigten.
Vergütungen der Krankenhäuser gekürzt
Krankenkassen berufen sich nun auf dieses Urteil und beginnen,
Krankenhäusern ihre Vergütung deutlich zu kürzen und darüber hinaus
Rückforderungen für vergangene Jahre zu stellen. Unmittelbar Alarm
geschlagen haben die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die
Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft sowie die Deutsche
Krankenhausgesellschaft. Auch Landesministerien (Rheinland-Pfalz,
Baden Württemberg) haben einen dringenden Handlungsbedarf deutlich
gemacht und erhoffen sich eine Lösung aus dem
Bundesgesundheitsministerium.
Mit der deutlich gekürzten Vergütung für die regionalen Stroke
Units ist nach Ansicht der Kliniken die Behandlung nicht mehr
finanzierbar. Zumal diese Vergütung nicht nur für die kleine Anzahl
von Fällen, die tatsächlich eine Verlegung erfordern, gekürzt werden
soll, sondern pauschal für alle Schlaganfall-Patienten. Im
schlimmsten Fall könnten von den aktuell 320 zertifizierten Stroke
Units in Deutschland nur etwa 50 die geforderten Kriterien erfüllen.
Denn nicht einmal sämtliche überregionale Stroke Units verfügen über
eine neurochirurgische Abteilung im Haus und sind mitunter auf
Verlegungen angewiesen. Die anderen Kliniken, so warnen Mediziner und
Krankenhausbetreiber, könnten sich aus der hoch qualifizierten
Schlaganfall-Versorgung zurückziehen.
Dialog dringend notwendig
Was wäre die Folge? Viele Studien haben die hohe Wirksamkeit einer
Behandlung auf der Stroke Unit belegt. Deutlich mehr Patienten
überleben einen Schlaganfall und erleiden seltener schwere
Behinderungen. In Hessen hat sich eine Arbeitsgruppe von Neurologen
gebildet, die auf Basis von Studien berechnen will, wie viele
Menschen zusätzlich an einem Schlaganfall versterben oder in der
Folge schwer behindert sein könnten, wenn sich die
Versorgungslandschaft wie befürchtet verändert.
"Wir teilen die Sorgen vieler Kliniken, weil wir nicht nur in den
Ballungszentren, sondern auch im ländlichen Raum eine gute
Akutversorgung benötigen", sagt Dr. Michael Brinkmeier,
Vorstandvorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Hilfe. Die Stiftung
versteht sich als Fürsprecher der Patienten. "Nicht nachvollziehbar
ist für uns, warum ein bewährtes und erfolgreiches System jetzt durch
bürokratische Spitzfindigkeiten in Frage gestellt werden soll. Damit
kann eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die zur ernsthaften
Gefährdung von Patienten führt." Brinkmeier ruft alle Beteiligten
auf, in den Dialog zu treten und zeitnah zu pragmatischen Lösungen zu
kommen, die eine gute Versorgung der Patienten auch in der Fläche
gewährleisten.
Pressekontakt:
Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
Schulstraße 22, 33111 Gütersloh
Mario Leisle
Presssesprecher
Telefon: 05241 9770-12
E-Mail: presse@schlaganfall-hilfe.de
Internet: schlaganfall-hilfe.de
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Schlagwörter
Stiftung , Verbände , obs , Medizin , Schlaganfall , Bundesozialgericht , Rechtsprechung , Stroke Unit , Gesundheit , Bild , Krankenhaus , Panorama , Gesundheit / Medizin ,
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