08.11.2019 20:00 | Mittelbayerische Zeitung | Presseschau
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Mittelbayerische Zeitung: Glückwunsch, gut gemacht! / Allem Genörgle zum Trotz: Die deutsche Wiedervereinigung ist eine Erfolgsgeschichte, deren letzte Kapitel noch nicht geschrieben sind. Leitartikel von Claudia Bockholt
Regensburg (ots) - Der 9. November 1989 ist für Deutschland ein Datum, das sich
ins Gedächtnis eingebrannt hat: Jeder weiß noch, wo er war und was er gerade
tat, als die unglaubliche Meldung die Runde machte: Die Mauer ist auf! Das ist
erst 30 Jahre her. Ja: erst. Die DDR gab es länger. 41 Jahre lang war das Land
geteilt, ein halbes Menschenleben. Zum Jubiläum des Mauerfalls wird viel darüber
gesprochen, was im Verhältnis Ost-West alles nicht funktioniert. Dabei gibt es
allen Grund, stolz zu sein und sich an das Prickeln des magischen Augenblicks zu
erinnern, als die ersten DDR-Bürger vor Glück weinend über den Grenzübergang
Bornholmer Straße legal rübermachten. Die Wiedervereinigung ist eine
Erfolgsgeschichte. Wunder darf man aber nicht erwarten. Welches andere Land der
Welt hätte den Willen und die Kraft besessen, über 16 Millionen Menschen nahtlos
ins Sozialversicherungssystem einzugliedern, neue Infrastruktur auf einer Fläche
von mehr als 100 000 Quadratkilometern zu schaffen, ganze Altstädte zu sanieren?
Die "blühenden Landschaften", die Helmut Kohl einst versprochen hat, gibt es
nicht überall in Ostdeutschland - und nicht überall im Westen. Die Verödung
einzelner Landstriche kennt auch Bayern, graue Innenstädte auch
Nordrhein-Westfalen. Es gibt zählbare Erfolge: Sachsen führt seit Jahren das
Pisa-Bildungsranking an. Aus Leipzig ist "Hypezig" geworden, ein Kultur- und
Wirtschaftsstandort. Das Bruttoinlandsprodukt im Osten ist seit der
Wiedervereinigung von 30 auf heute 75 Prozent des westdeutschen Niveaus
gestiegen. Sogar im deutschen Glücksatlas haben die neuen Bundesländer Boden
gutgemacht. Zwar finden wesentlich mehr Ostdeutsche, dass die Herkunft aus Ost
oder West die Identität prägt - aber wie bei den Westdeutschen sind ihnen andere
Faktoren für die eigene Verortung in der Gesellschaft wichtiger: die soziale
Schicht, das Einkommen, die Nationalität, die politische Einstellung. Warum
erwarten wir überhaupt, dass Thüringer und Saarländer mehr miteinander gemeinsam
haben sollten als beispielsweise Bayern und Bremer? Von den deutschen Gebieten
nördlich und südlich des Weißwurstäquators wird keine vollständige
Harmonisierung oder gar Assimilierung in irgendeine Himmelsrichtung erwartet.
Jeder darf seine regionalen Schrullen mit Lust und Liebe pflegen. Klischees sind
unvermeidlich, doch sie dürfen nicht zu Vorurteilen gerinnen. Naziaufmärsche
haben dazu verleitet, ein monochromes Bild von "Dunkeldeutschland" zu malen.
Doch der pauschale Vorwurf des Faschismus ist der Ost-West-Beziehung nie
zuträglich gewesen. Der Irrglaube, dass Faschismus stets auf der anderen Seite
stattfand, hatte schon einmal Folgen: In der DDR sah man die NS-Vergangenheit
mit der Entnazifizierung als erledigt an, in eigener Sache wurde die Schuldfrage
nicht gestellt. Möglicherweise einer der Gründe, warum rechte Parolen im Osten
noch besser ankommen als in der Alt-BRD. Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist
wegen des Eiltempos, mit dem die Einheit übers Land brauste, ebenfalls auf der
Strecke geblieben. Selbst für Schüler im Osten, sagte kürzlich ein Vertreter des
Deutschen Geschichtslehrerverbands, sei die DDR bereits so weit entfernt wie die
Antike. Nur Unwissenden kann man erzählen, die DDR sei kein Unrechtsstaat
gewesen, ihnen voller Ostalgie vom tollen Zusammenhalt und der Vollbeschäftigung
vorschwärmen. Es war nicht alles schlecht, das ist wahr. Aber noch sehr viel
mehr war überhaupt nicht gut. Die DDR war ein undemokratischer, repressiver, am
Ende bankrotter Staat. Wenn dies nicht mehr von Generation zu Generation
weitergegeben wird, muss Geschichtsunterricht die fatalen Lücken schließen. Alle
Schüler, ob Ost oder West, sollten wissen, was Hohenschönhausen war. Sie sollten
aber auch die schönen Bilder vom 9.11.1989 kennen, als Deutschland anfing,
wieder zueinanderzufinden.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell
ins Gedächtnis eingebrannt hat: Jeder weiß noch, wo er war und was er gerade
tat, als die unglaubliche Meldung die Runde machte: Die Mauer ist auf! Das ist
erst 30 Jahre her. Ja: erst. Die DDR gab es länger. 41 Jahre lang war das Land
geteilt, ein halbes Menschenleben. Zum Jubiläum des Mauerfalls wird viel darüber
gesprochen, was im Verhältnis Ost-West alles nicht funktioniert. Dabei gibt es
allen Grund, stolz zu sein und sich an das Prickeln des magischen Augenblicks zu
erinnern, als die ersten DDR-Bürger vor Glück weinend über den Grenzübergang
Bornholmer Straße legal rübermachten. Die Wiedervereinigung ist eine
Erfolgsgeschichte. Wunder darf man aber nicht erwarten. Welches andere Land der
Welt hätte den Willen und die Kraft besessen, über 16 Millionen Menschen nahtlos
ins Sozialversicherungssystem einzugliedern, neue Infrastruktur auf einer Fläche
von mehr als 100 000 Quadratkilometern zu schaffen, ganze Altstädte zu sanieren?
Die "blühenden Landschaften", die Helmut Kohl einst versprochen hat, gibt es
nicht überall in Ostdeutschland - und nicht überall im Westen. Die Verödung
einzelner Landstriche kennt auch Bayern, graue Innenstädte auch
Nordrhein-Westfalen. Es gibt zählbare Erfolge: Sachsen führt seit Jahren das
Pisa-Bildungsranking an. Aus Leipzig ist "Hypezig" geworden, ein Kultur- und
Wirtschaftsstandort. Das Bruttoinlandsprodukt im Osten ist seit der
Wiedervereinigung von 30 auf heute 75 Prozent des westdeutschen Niveaus
gestiegen. Sogar im deutschen Glücksatlas haben die neuen Bundesländer Boden
gutgemacht. Zwar finden wesentlich mehr Ostdeutsche, dass die Herkunft aus Ost
oder West die Identität prägt - aber wie bei den Westdeutschen sind ihnen andere
Faktoren für die eigene Verortung in der Gesellschaft wichtiger: die soziale
Schicht, das Einkommen, die Nationalität, die politische Einstellung. Warum
erwarten wir überhaupt, dass Thüringer und Saarländer mehr miteinander gemeinsam
haben sollten als beispielsweise Bayern und Bremer? Von den deutschen Gebieten
nördlich und südlich des Weißwurstäquators wird keine vollständige
Harmonisierung oder gar Assimilierung in irgendeine Himmelsrichtung erwartet.
Jeder darf seine regionalen Schrullen mit Lust und Liebe pflegen. Klischees sind
unvermeidlich, doch sie dürfen nicht zu Vorurteilen gerinnen. Naziaufmärsche
haben dazu verleitet, ein monochromes Bild von "Dunkeldeutschland" zu malen.
Doch der pauschale Vorwurf des Faschismus ist der Ost-West-Beziehung nie
zuträglich gewesen. Der Irrglaube, dass Faschismus stets auf der anderen Seite
stattfand, hatte schon einmal Folgen: In der DDR sah man die NS-Vergangenheit
mit der Entnazifizierung als erledigt an, in eigener Sache wurde die Schuldfrage
nicht gestellt. Möglicherweise einer der Gründe, warum rechte Parolen im Osten
noch besser ankommen als in der Alt-BRD. Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist
wegen des Eiltempos, mit dem die Einheit übers Land brauste, ebenfalls auf der
Strecke geblieben. Selbst für Schüler im Osten, sagte kürzlich ein Vertreter des
Deutschen Geschichtslehrerverbands, sei die DDR bereits so weit entfernt wie die
Antike. Nur Unwissenden kann man erzählen, die DDR sei kein Unrechtsstaat
gewesen, ihnen voller Ostalgie vom tollen Zusammenhalt und der Vollbeschäftigung
vorschwärmen. Es war nicht alles schlecht, das ist wahr. Aber noch sehr viel
mehr war überhaupt nicht gut. Die DDR war ein undemokratischer, repressiver, am
Ende bankrotter Staat. Wenn dies nicht mehr von Generation zu Generation
weitergegeben wird, muss Geschichtsunterricht die fatalen Lücken schließen. Alle
Schüler, ob Ost oder West, sollten wissen, was Hohenschönhausen war. Sie sollten
aber auch die schönen Bilder vom 9.11.1989 kennen, als Deutschland anfing,
wieder zueinanderzufinden.
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Politik , Innenpolitik ,
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