11.04.2019 18:17 | Landeszeitung Lüneburg | Presseschau
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Landeszeitung Lüneburg: Neutralität dürfen wir als Grundhaltung erwarten Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza zu ihrem Plan,religiöse Symbole im Gericht zu verbannen
Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler
Religiöse Symbole sind für niedersächsische Richter und
Staatsanwälte nach ihrem Gesetzentwurf künftig tabu. Wieso würde die
Rechtsprechung leiden, wenn eine Richterin ein Kreuz oder ein
Kopftuch trägt?
Barbara Havliza: Es geht bei diesem Gesetz nicht um die Frage, ob
die Rechtsprechung leiden würde. Es geht darum, für Beobachter jeden
Anschein zu vermeiden, die Justiz - als dritte, unabhängige Säule
unserer Demokratie - sei nicht neutral. Wir leben in einer immer
multikulturelleren und multireligiöseren Welt. Wir müssen deshalb
dafür sorgen, dass derjenige, der Recht sucht, keinen falschen
Eindruck gewinnt. Niemand soll die Befürchtung haben, das Gericht
werde nicht unparteiisch entscheiden, sondern Personen mit derselben
Religion oder derselben Weltanschauung bevorzugen. Das wäre
gefährlich. Ein solcher Eindruck könnte die Akzeptanz von
Gerichtsurteilen nachhaltig beschädigen.
Wird das Neutralitätsgebot nicht überzogen, wenn man es auf
Äußerlichkeiten anwendet?
Künftig könnte ein Familienrichter dann im Scheidungsverfahren
gezwungen sein, seinen Ehering abzulegen. Die Ehe ist weder
Weltanschauung noch Religion, sondern aus juristischer Sicht eine
Institution, deren rechtliche Rahmenbedingungen im Bürgerlichen
Gesetzbuch niedergelegt sind. Das ist der zentrale Unterschied. Auf
der anderen Seite sind Konstellationen denkbar - etwa in
Strafverfahren -, in dem der Angeklagte und der Richter jeweils
Religionen angehören, die Teil des Konfliktes sind. Denken Sie an
Strafverfahren mit einem antisemitischen Hintergrund. Oder an
Staatsschutz-Verfahren, in denen die vermeintliche Religion
regelmäßig Teil der Motivlage ist. Würde der Richter sein
Glaubensbekenntnis über Symbole offen zeigen, so läge beim
Angeklagten der Gedanke nahe, der Richter sei sein Gegner. Diesem
Anschein gilt es entgegenzuwirken. Deswegen sollen religiöse Symbole
von Richtern und Staatsanwälten während der Ausübung ihres Amtes
nicht mehr getragen werden. Das Vorhaben wird bedauerlicherweise
immer als "Kopftuchverbot" bezeichnet. Vermutlich, weil dieser
Begriff am plakativsten ist. Aber natürlich dürfte ein Schöffe
jüdischen Glaubens in der Verhandlung auch seine Kippa nicht tragen.
Oder eine Richterin dürfte sich kein Kreuz um den Hals legen, das
offenkundig nicht mehr als Modeschmuck durchgeht. Und dies finde ich
unter dem Gesichtspunkt des Neutralitätsgebotes in der Justiz höchst
angemessen.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2015 Kopftücher bei Lehrerinnen
als Ausdruck der Religionsfreiheit zugelassen. Wieso muss die
Neutralität in der Justiz rigider durchgesetzt werden?
Erzieherinnen und Erzieher haben einen anderen Auftrag als
Richterinnen und Richter. Bei der Erziehung von Kindern in
öffentlichen Einrichtungen ist staatliche Neutralität wichtig, keine
Frage. Aber sie ist nicht so überragend wichtig wie in einem
Gerichtsverfahren. Die Justiz entscheidet über existenzielle
Sachverhalte und ist dabei strikt gebunden an Recht und Gesetz - und
an nichts anderes. Nirgendwo ist deshalb die Neutralität so wichtig
wie in der Justiz. Dabei ist die innere Haltung selbstverständlich
das Wichtigste. Aber die innere Haltung ist nicht sichtbar und das
soll auch so sein. Deshalb müssen diejenigen, die das Recht sprechen,
grundsätzlich bedenken, was sie zum Ausdruck bringen, wenn sie neben
der Robe bestimmte Symbole offensiv tragen.
Läuft ein Richter schon Gefahr, als befangen gelten zu können, nur
weil er Persönlichkeit hat? Das Verstecken von Symbolen ändert ja
nichts an der inneren Haltung.
Keinesfalls. Wir brauchen Richter mit Persönlichkeit! Umgekehrt
ist es aber doch vielmehr so, dass wir Neutralität als Grundhaltung
von denen erwarten dürfen, die sich für eine Laufbahn in der Justiz
entscheiden. Und diejenigen, die dem offensiven Tragen eines
religiösen oder weltanschaulichen Symbols letztlich den Vorzug vor
dem Eintritt in den Justizdienst geben, die wären in der Justiz nach
meiner Auffassung auch nicht gut aufgehoben. Im Übrigen wollen wir ja
niemandem verbieten, im Dienst ein Kreuz oder ein Kopftuch zu tragen.
Das Verbot soll lediglich gelten bei Verhandlungen oder anderen
Amtshandlungen, bei denen Beteiligte des Verfahrens, Zeugen,
Sachverständige oder Zuschauer anwesend sind.
Verstößt das Kruzifix in bayerischen Gerichten auch gegen das
Neutralitätsgebot?
Das Recht wird immer durch die Menschen gesprochen, nicht durch
die Säle. Es ist schon ein Unterschied, ob ein religiöses Symbol an
der Wand hängt oder von einem Menschen getragen wird, der einen Fall
durchdenkt und entscheidet. In Niedersachsen haben wir im Übrigen nur
noch zwei Gerichte, in denen Kreuze hängen...
...Welche?
Das sind die Amtsgerichte in Cloppenburg und Vechta. Darüber
hinaus schmückt in Niedersachsen unser Landeswappen die Gerichtssäle.
Wenn sich ein Beteiligter in einem Gerichtsverfahren an einem Kreuz
in einem dieser beiden Gerichte stört, dann wird es während der
Verhandlung abgehängt. So einfach ist das. Darauf hat ein Angeklagter
auch einen Anspruch, das hat das Bundesverfassungsgericht schon lange
entschieden. Ich habe in meiner Laufbahn als Richterin selbst schon
Kreuze abgehängt.
Seit Jahren klagen Straf-, Zivil- und Sozialgerichte über eine
anschwellende Klageflut. Müssen die Hürden erhöht werden?
Das Klageaufkommen zeigt schon seit Jahren eine Wellenbewegung.
Bei den Sozialgerichten liegt es aktuell an den die Verjährungsfrist
unterbrechenden Klagen in sogenannten
Krankenhausabrechnungsverfahren. Einige Zivilgerichte sind in den
letzten Monaten stark mit sogenannten VW-Verfahren belastet worden.
Das sind jedoch temporäre Entwicklungen. Daraus abzuleiten, die
Hürden für den Zugang zum Recht müssten erhöht werden, ist meiner
Meinung nach gefährlich, denn dies würde Rechte beschneiden. Man
könnte etwa bei den Zivilgerichten auf die Idee kommen, dass
Kleinbeträge nicht mehr eingeklagt werden können. Aber das ist ein
schwieriges Kapitel, denn was für den Gutverdienenden ein Kleinbetrag
ist, kann für den Arbeitslosen ein Großteil seines Monatsetats sein.
Ich würde mir jedoch wünschen, dass man etwa im Bereich des
Nachbarschaftsrechts vieles friedlicher lösen könnte. Aber solange
Menschen sich nicht friedlich verständigen können, ist es riskant,
einigen zu sagen, ihr Anliegen wäre nicht mehr relevant genug, um vor
Gericht ausgefochten zu werden. Ich bin zum Beispiel auch dagegen,
Bagatelldelikte - wie etwa Schwarzfahren - künftig straffrei zu
stellen. Es wäre eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates,
Fehlverhalten nur deshalb nicht mehr zu ahnden, weil es uns zu viel
Arbeit macht. Das muss der Staat schon noch leisten.
Schon länger wird moniert, dass bei den Strafen für Gewalttaten im
Vergleich zu Eigentumsdelikten ein generelles Missverhältnis besteht.
Verspielt der Rechtsstaat Vertrauen, wenn die Mindeststrafen bei
Gewaltakten gegen den Körper nicht heraufgesetzt werden?
Dieses Thema ist schon an mich herangetragen worden, als ich noch
als Richterin tätig war. Bis auf Mord - hier gibt es eine lebenslange
Freiheitsstrafe - haben alle Straftatbestände einen Strafrahmen.
Innerhalb dieser Strafrahmen haben die Richter einen Spielraum unter
Berücksichtigung der besonderen Aspekte des Einzelfalls, zum Beispiel
kann die Motivation des Täters bewertet werden. Ich bin der
Auffassung, dass Übergriffe gegen die körperliche Unversehrtheit
stets angemessen hart geahndet werden sollen. Aber ich bin mir nicht
sicher, ob das behauptete Missverhältnis zu angeblich härter
bestraften Vermögensdelikten letztlich nur ein gefühltes
Missverhältnis ist, weil wir den Schutz von Leib und Leben als am
wichtigsten erachten. Aber wenn die Unversehrtheit des Körpers das
höhere Rechtsgut ist, wäre es dann nicht sinnvoll, die Untergrenze
bei den Strafen für Gewaltakte anzuheben? Bei schweren
Körperverletzungen steigt man beim Strafrahmen bereits höher ein.
Aber der Strafrahmen muss nach unten die Möglichkeit bieten, auch
harmlosere Raufereien angemessen ahnden zu können. Statt reflexhaft
schärfere Strafen zu fordern, muss meines Erachtens der Strafrahmen
besser ausgeschöpft werden. Und dazu gehört auch das Ausschöpfen
"nach oben". So habe ich es als Richterin jedenfalls immer gehalten.
Möglicherweise müssen wir uns in der Justiz bei der Außendarstellung
von Urteilen aber auch besser erklären. Wir müssen erläutern, welche
Besonderheiten des Einzelfalls zu einem Urteil geführt haben, ohne
dabei die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu verletzen. Hier
kann sich die Justiz gewiss noch verbessern. An dieser Stelle ist
auch die Presse gefordert. Einerseits mit guter und sachlicher
Berichterstattung, die durchaus auch Kritik beinhalten darf. Aber die
Presse darf auch gerne die Rückmeldung geben, wenn die Justiz mal
nicht verstanden wird, weil sie sich zu sehr in ihrer eigenen Sphäre
bewegt.
Da kann ich liefern: Im Strafverfahren bekommt der Zeuge in
Justiz-Sprech immer zu hören: "Ich halte Ihnen mal vor...". Gemeint
ist die Verlesung einer früheren Aussage, aber...
...man fühlt sich sofort schuldig, ich weiß, was Sie meinen. Ein
guter Punkt. Diesen Justiz-Sprech haben wir so verinnerlicht, dass
wir nicht mal mehr bemerken, dass sich unser Gegenüber gleich in die
Defensive gedrängt sieht.
Was versprechen Sie sich von dem Einsatz der elektronischen
Fußfessel?
Bei dem Einsatz der elektronischen Fußfessel haben wir vor allem
den Opferschutz im Blick, zum Beispiel die Opfer von häuslicher
Gewalt. Niemand soll sich Sorgen machen, wenn ein verurteilter
Straftäter tagsüber die Haftanstalt verlässt, etwa um einer Arbeit
nachzugehen. Zwar können wir auch jetzt schon im Rahmen von
Lockerungsmaßnahmen Vorgaben machen, welche Orte betreten werden
dürfen und welche nicht. Bislang war die Kontrolle solcher Vorgaben
jedoch nur eingeschränkt möglich. Mit der elektronischen Fußfessel
gibt es nun ein wirksames Mittel, die Einhaltung einer solchen
Weisung präzise und in Echtzeit zu kontrollieren.
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell
Religiöse Symbole sind für niedersächsische Richter und
Staatsanwälte nach ihrem Gesetzentwurf künftig tabu. Wieso würde die
Rechtsprechung leiden, wenn eine Richterin ein Kreuz oder ein
Kopftuch trägt?
Barbara Havliza: Es geht bei diesem Gesetz nicht um die Frage, ob
die Rechtsprechung leiden würde. Es geht darum, für Beobachter jeden
Anschein zu vermeiden, die Justiz - als dritte, unabhängige Säule
unserer Demokratie - sei nicht neutral. Wir leben in einer immer
multikulturelleren und multireligiöseren Welt. Wir müssen deshalb
dafür sorgen, dass derjenige, der Recht sucht, keinen falschen
Eindruck gewinnt. Niemand soll die Befürchtung haben, das Gericht
werde nicht unparteiisch entscheiden, sondern Personen mit derselben
Religion oder derselben Weltanschauung bevorzugen. Das wäre
gefährlich. Ein solcher Eindruck könnte die Akzeptanz von
Gerichtsurteilen nachhaltig beschädigen.
Wird das Neutralitätsgebot nicht überzogen, wenn man es auf
Äußerlichkeiten anwendet?
Künftig könnte ein Familienrichter dann im Scheidungsverfahren
gezwungen sein, seinen Ehering abzulegen. Die Ehe ist weder
Weltanschauung noch Religion, sondern aus juristischer Sicht eine
Institution, deren rechtliche Rahmenbedingungen im Bürgerlichen
Gesetzbuch niedergelegt sind. Das ist der zentrale Unterschied. Auf
der anderen Seite sind Konstellationen denkbar - etwa in
Strafverfahren -, in dem der Angeklagte und der Richter jeweils
Religionen angehören, die Teil des Konfliktes sind. Denken Sie an
Strafverfahren mit einem antisemitischen Hintergrund. Oder an
Staatsschutz-Verfahren, in denen die vermeintliche Religion
regelmäßig Teil der Motivlage ist. Würde der Richter sein
Glaubensbekenntnis über Symbole offen zeigen, so läge beim
Angeklagten der Gedanke nahe, der Richter sei sein Gegner. Diesem
Anschein gilt es entgegenzuwirken. Deswegen sollen religiöse Symbole
von Richtern und Staatsanwälten während der Ausübung ihres Amtes
nicht mehr getragen werden. Das Vorhaben wird bedauerlicherweise
immer als "Kopftuchverbot" bezeichnet. Vermutlich, weil dieser
Begriff am plakativsten ist. Aber natürlich dürfte ein Schöffe
jüdischen Glaubens in der Verhandlung auch seine Kippa nicht tragen.
Oder eine Richterin dürfte sich kein Kreuz um den Hals legen, das
offenkundig nicht mehr als Modeschmuck durchgeht. Und dies finde ich
unter dem Gesichtspunkt des Neutralitätsgebotes in der Justiz höchst
angemessen.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2015 Kopftücher bei Lehrerinnen
als Ausdruck der Religionsfreiheit zugelassen. Wieso muss die
Neutralität in der Justiz rigider durchgesetzt werden?
Erzieherinnen und Erzieher haben einen anderen Auftrag als
Richterinnen und Richter. Bei der Erziehung von Kindern in
öffentlichen Einrichtungen ist staatliche Neutralität wichtig, keine
Frage. Aber sie ist nicht so überragend wichtig wie in einem
Gerichtsverfahren. Die Justiz entscheidet über existenzielle
Sachverhalte und ist dabei strikt gebunden an Recht und Gesetz - und
an nichts anderes. Nirgendwo ist deshalb die Neutralität so wichtig
wie in der Justiz. Dabei ist die innere Haltung selbstverständlich
das Wichtigste. Aber die innere Haltung ist nicht sichtbar und das
soll auch so sein. Deshalb müssen diejenigen, die das Recht sprechen,
grundsätzlich bedenken, was sie zum Ausdruck bringen, wenn sie neben
der Robe bestimmte Symbole offensiv tragen.
Läuft ein Richter schon Gefahr, als befangen gelten zu können, nur
weil er Persönlichkeit hat? Das Verstecken von Symbolen ändert ja
nichts an der inneren Haltung.
Keinesfalls. Wir brauchen Richter mit Persönlichkeit! Umgekehrt
ist es aber doch vielmehr so, dass wir Neutralität als Grundhaltung
von denen erwarten dürfen, die sich für eine Laufbahn in der Justiz
entscheiden. Und diejenigen, die dem offensiven Tragen eines
religiösen oder weltanschaulichen Symbols letztlich den Vorzug vor
dem Eintritt in den Justizdienst geben, die wären in der Justiz nach
meiner Auffassung auch nicht gut aufgehoben. Im Übrigen wollen wir ja
niemandem verbieten, im Dienst ein Kreuz oder ein Kopftuch zu tragen.
Das Verbot soll lediglich gelten bei Verhandlungen oder anderen
Amtshandlungen, bei denen Beteiligte des Verfahrens, Zeugen,
Sachverständige oder Zuschauer anwesend sind.
Verstößt das Kruzifix in bayerischen Gerichten auch gegen das
Neutralitätsgebot?
Das Recht wird immer durch die Menschen gesprochen, nicht durch
die Säle. Es ist schon ein Unterschied, ob ein religiöses Symbol an
der Wand hängt oder von einem Menschen getragen wird, der einen Fall
durchdenkt und entscheidet. In Niedersachsen haben wir im Übrigen nur
noch zwei Gerichte, in denen Kreuze hängen...
...Welche?
Das sind die Amtsgerichte in Cloppenburg und Vechta. Darüber
hinaus schmückt in Niedersachsen unser Landeswappen die Gerichtssäle.
Wenn sich ein Beteiligter in einem Gerichtsverfahren an einem Kreuz
in einem dieser beiden Gerichte stört, dann wird es während der
Verhandlung abgehängt. So einfach ist das. Darauf hat ein Angeklagter
auch einen Anspruch, das hat das Bundesverfassungsgericht schon lange
entschieden. Ich habe in meiner Laufbahn als Richterin selbst schon
Kreuze abgehängt.
Seit Jahren klagen Straf-, Zivil- und Sozialgerichte über eine
anschwellende Klageflut. Müssen die Hürden erhöht werden?
Das Klageaufkommen zeigt schon seit Jahren eine Wellenbewegung.
Bei den Sozialgerichten liegt es aktuell an den die Verjährungsfrist
unterbrechenden Klagen in sogenannten
Krankenhausabrechnungsverfahren. Einige Zivilgerichte sind in den
letzten Monaten stark mit sogenannten VW-Verfahren belastet worden.
Das sind jedoch temporäre Entwicklungen. Daraus abzuleiten, die
Hürden für den Zugang zum Recht müssten erhöht werden, ist meiner
Meinung nach gefährlich, denn dies würde Rechte beschneiden. Man
könnte etwa bei den Zivilgerichten auf die Idee kommen, dass
Kleinbeträge nicht mehr eingeklagt werden können. Aber das ist ein
schwieriges Kapitel, denn was für den Gutverdienenden ein Kleinbetrag
ist, kann für den Arbeitslosen ein Großteil seines Monatsetats sein.
Ich würde mir jedoch wünschen, dass man etwa im Bereich des
Nachbarschaftsrechts vieles friedlicher lösen könnte. Aber solange
Menschen sich nicht friedlich verständigen können, ist es riskant,
einigen zu sagen, ihr Anliegen wäre nicht mehr relevant genug, um vor
Gericht ausgefochten zu werden. Ich bin zum Beispiel auch dagegen,
Bagatelldelikte - wie etwa Schwarzfahren - künftig straffrei zu
stellen. Es wäre eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates,
Fehlverhalten nur deshalb nicht mehr zu ahnden, weil es uns zu viel
Arbeit macht. Das muss der Staat schon noch leisten.
Schon länger wird moniert, dass bei den Strafen für Gewalttaten im
Vergleich zu Eigentumsdelikten ein generelles Missverhältnis besteht.
Verspielt der Rechtsstaat Vertrauen, wenn die Mindeststrafen bei
Gewaltakten gegen den Körper nicht heraufgesetzt werden?
Dieses Thema ist schon an mich herangetragen worden, als ich noch
als Richterin tätig war. Bis auf Mord - hier gibt es eine lebenslange
Freiheitsstrafe - haben alle Straftatbestände einen Strafrahmen.
Innerhalb dieser Strafrahmen haben die Richter einen Spielraum unter
Berücksichtigung der besonderen Aspekte des Einzelfalls, zum Beispiel
kann die Motivation des Täters bewertet werden. Ich bin der
Auffassung, dass Übergriffe gegen die körperliche Unversehrtheit
stets angemessen hart geahndet werden sollen. Aber ich bin mir nicht
sicher, ob das behauptete Missverhältnis zu angeblich härter
bestraften Vermögensdelikten letztlich nur ein gefühltes
Missverhältnis ist, weil wir den Schutz von Leib und Leben als am
wichtigsten erachten. Aber wenn die Unversehrtheit des Körpers das
höhere Rechtsgut ist, wäre es dann nicht sinnvoll, die Untergrenze
bei den Strafen für Gewaltakte anzuheben? Bei schweren
Körperverletzungen steigt man beim Strafrahmen bereits höher ein.
Aber der Strafrahmen muss nach unten die Möglichkeit bieten, auch
harmlosere Raufereien angemessen ahnden zu können. Statt reflexhaft
schärfere Strafen zu fordern, muss meines Erachtens der Strafrahmen
besser ausgeschöpft werden. Und dazu gehört auch das Ausschöpfen
"nach oben". So habe ich es als Richterin jedenfalls immer gehalten.
Möglicherweise müssen wir uns in der Justiz bei der Außendarstellung
von Urteilen aber auch besser erklären. Wir müssen erläutern, welche
Besonderheiten des Einzelfalls zu einem Urteil geführt haben, ohne
dabei die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu verletzen. Hier
kann sich die Justiz gewiss noch verbessern. An dieser Stelle ist
auch die Presse gefordert. Einerseits mit guter und sachlicher
Berichterstattung, die durchaus auch Kritik beinhalten darf. Aber die
Presse darf auch gerne die Rückmeldung geben, wenn die Justiz mal
nicht verstanden wird, weil sie sich zu sehr in ihrer eigenen Sphäre
bewegt.
Da kann ich liefern: Im Strafverfahren bekommt der Zeuge in
Justiz-Sprech immer zu hören: "Ich halte Ihnen mal vor...". Gemeint
ist die Verlesung einer früheren Aussage, aber...
...man fühlt sich sofort schuldig, ich weiß, was Sie meinen. Ein
guter Punkt. Diesen Justiz-Sprech haben wir so verinnerlicht, dass
wir nicht mal mehr bemerken, dass sich unser Gegenüber gleich in die
Defensive gedrängt sieht.
Was versprechen Sie sich von dem Einsatz der elektronischen
Fußfessel?
Bei dem Einsatz der elektronischen Fußfessel haben wir vor allem
den Opferschutz im Blick, zum Beispiel die Opfer von häuslicher
Gewalt. Niemand soll sich Sorgen machen, wenn ein verurteilter
Straftäter tagsüber die Haftanstalt verlässt, etwa um einer Arbeit
nachzugehen. Zwar können wir auch jetzt schon im Rahmen von
Lockerungsmaßnahmen Vorgaben machen, welche Orte betreten werden
dürfen und welche nicht. Bislang war die Kontrolle solcher Vorgaben
jedoch nur eingeschränkt möglich. Mit der elektronischen Fußfessel
gibt es nun ein wirksames Mittel, die Einhaltung einer solchen
Weisung präzise und in Echtzeit zu kontrollieren.
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