10.01.2019 15:36 | Landeszeitung Lüneburg | Presseschau
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Landeszeitung Lüneburg: Gewissheiten über Bord CDU-Außenpoltiker Roderich Kiesewetter kritisiert Trumps sprunghafte Syrien-Politik und fordert, dass Europa für seine Sicherheit selbst sorgt
Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler
Lüneburg/Berlin. Erst kündigt US-Präsident Donald Trump den Abzug
der 2000 US-Soldaten aus Syrien an. Das war nichts weniger als ein
Verrat an den kurdischen YPG-Milizen, die in den vergangenen Jahren
als die Bodentruppen der USA in Syrien gekämpft haben. Denn Ankara
würde bei einem Einmarsch in Syrien wohl vor allem Kurden und weniger
den IS bekämpfen. Jetzt rudert Washington zurück, forderte
Sicherheitsgarantien für die Kurden - und holte sich in Ankara eine
Abfuhr. Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
im Auswärtigen Ausschuss, kritisiert, dass in Washington "keine
Gesamtabwägungsprozesse mehr stattfinden und außenpolitische
Gewissheiten über Nacht über Bord geworfen werden." Da die Einhegung
des "unberechenbaren" US-Präsidenten über die UN wenig
erfolgversprechend sei, fordert Kiesewetter im "Interview der Woche"
der Lüneburger Landeszeitung, dass die Europäer die
sicherheitspolitischen Fähigkeiten entwickeln, um "weltpolitikfähig"
zu werden.
Erst kündigt US-Präsident Trump den schnellen Abzug der GIs aus
Syrien an, jetzt rudert er zurück und fordert von Erdogan
Sicherheitsgarantien für die Kurden. Hat ihm jemand deutlich machen
können, dass sein Alleingang ein verheerender strategischer Fehler
war? Roderich Kiesewetter: Ich gehe davon aus, dass Trump somit die
syrischen Kurden nun doch vorerst vor einem Angriff der Türkei
schützen möchte. Ferner geht es ihm auch um die mit einem Angriff
höchstwahrscheinlich einhergehende Freilassung von 2000 IS-Kämpfern
und Familienangehörigen in kurdischen Gefängnissen.
Welchen Wert hätte eine Zusicherung Erdogans, die "Kurden nicht
abzuschlachten", wenn keine US-Truppen als Wächter mehr vor Ort sind?
Es geht nicht um einen Genozid, der bevorsteht, sondern um die
Machtausdehnung der Türkei bis tief in die kurdischen Gebiete.
Dadurch soll eine regionale Vormachtstellung etabliert werden. Die
türkischen Truppen sind ja schon an der Grenze zusammengezogen. Ein
anderer Punkt kommt hinzu: Die Türkei kann den IS nicht wirksam
nachhaltig bekämpfen. Ihr fehlen schlicht und ergreifend die
Ressourcen, so weit wie nötig nach Syrien vorzudringen.
Da Trump den Weltsheriffsstern verweigert, sind Russland, die
Türkei und der Iran die neuen Ordnungsmächte im Nahen Osten. Im
Kreml wird man sich mit Krim-Sekt zuprosten, dass man so frühzeitig
diesem Kandidaten den Weg ins Weiße Haus geebnet hat, oder? Trump ist
nicht nur für uns Europäer unberechenbar, er ist es auch für
Russland. Im Gegensatz zu uns ist Russland allerdings stets in
Gegnerschaft zu den USA. Insofern nutzt Russland jedes Machtvakuum im
Nahen Osten geschickt, das die USA unter Trump freigeben, ohne dabei
zu viele Ressourcen zu verschwenden. Zugleich wissen die Russen, dass
ein Wiederaufbau und politische Stabilität nicht durch eine
dauerhafte militärische Präsenz möglich ist und enorme finanzielle
Ressourcen verschlingen wird. Deshalb bestünde gerade durch eine
aktivere Rolle der USA die Möglichkeit, Russland Zugeständnisse
abzuringen.
Trumps Innenpolitik bestimmt die Außenpolitik. Der Deal mit
Nordkorea sollte von den Russland-Ermittlungen gegen ihn ablenken.
Die Truppenabzüge aus Afghanistan und Syrien die Anhänger
zufriedenstellen. Muss sich Europa auf eine Phase der
Sprunghaftigkeit einstellen, in der strategisches Denken out ist? Das
ist meines Erachtens schon seit einiger Zeit der Fall. Außen- und
Innenpolitik sind immer verknüpft, auch bei politischen
Entscheidungen in anderen Staaten. Allerdings ist dies bei Trump eine
Einbahnstraße, die gewissermaßen seine "America-First"-Politik
operationalisiert. Dabei finden zunehmend keine
Gesamtabwägungsprozesse statt und außenpolitische Gewissheiten werden
über Nacht über Bord geworfen.
Können Paris und Berlin den sprunghaften US-Präsidenten einhegen,
wenn sie im März beziehungsweise April den Vorsitz im
Weltsicherheitsrat übernehmen? Das glaube ich nur bedingt. Wir wollen
allerdings alles dafür tun, die multilaterale internationale Ordnung
aufrechtzuerhalten. Als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat
legen wir unseren Fokus neben der Bewältigung und der Prävention von
Konflikten darauf, weitere Themen auf die Agenda setzen. Dazu gehört
der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Sicherheitspolitik, die
Stärkung des humanitären Systems, Abrüstung und Rüstungskontrolle,
Menschenrechtsfragen und die Rolle der Frauen bei Konfliktprävention
und -bewältigung.
Bleibt der Entwurf einer einheitlichen Strategie Europas Illusion
in einer Ära, in der die EU Großbritannien verliert und sich immer
mehr Bürger von ihr abwenden? Sicher sind die strategischen Kulturen
der europäischen Staaten noch teilweise sehr unterschiedlich. Dennoch
haben wir uns auf eine Globale Strategie der EU geeinigt und finden
auf immer mehr Ebenen Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Dies müssen
wir beherzt intensivieren bei gleichzeitiger Erklärung der
Notwendigkeit an unsere Bürgerinnen und Bürger.
Ist die Zeit vorbei, in der sich Europa auf die Aufnahme von
Flüchtlingen und die Stabilisierung von Staaten spezialisierte,
während die USA die kriegerischen Aufgaben übernahm? Fakt ist, dass
es einer fairen transatlantischen Lastenteilung bedarf und wir als
Europäer "weltpolitikfähig" werden müssen, wie dies der derzeitige
Kommissionspräsident ausgedrückt hat. Dafür sollten wir auch die
notwendigen Fähigkeiten vorhalten, ohne die es nicht möglich ist.
Der stetige Wechsel zwischen Drohungen und Umarmungen ist auch
Trumps Taktik gegenüber China. Wird sein strategisches Unvermögen den
Aufstieg Chinas und Amerikas Abstieg beschleunigen? Ja, davon gehe
ich aus.
Ist der Verrat Trumps an den kurdischen YPG-Milizen auch ein
Lehrstück für die NATO? Das Zurückstutzen des Paktes war auch ein
Wahlkampfversprechen. Sollte sich Europa darauf einstellen, bald ohne
Schutzmacht zu sein, wenn Trump seine Umfrageprozente erhöhen will?
Der Rückzug aus Nordsyrien ist ja mittlerweile schon verschoben.
Selbstverständlich sollte sich Europa künftig selbst um seine
Sicherheit kümmern. Trump pocht auf die Einhaltung des
Zwei-Prozent-Ziels, das ein gemeinsam vereinbartes Ziel der Europäer
mit Präsident Obama darstellt. Gleichzeitig erhöhen sich bei uns die
Militärausgaben und wir sind mit den Trendwenden dabei, die
Bundeswehr wieder besser aufzustellen. Dies braucht Zeit. In den USA
besteht parteiübergreifend Konsens, die enge Bindung mit den
Europäern zu erhalten und dass dies im zentralen nationalen Interesse
steht.
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell
Lüneburg/Berlin. Erst kündigt US-Präsident Donald Trump den Abzug
der 2000 US-Soldaten aus Syrien an. Das war nichts weniger als ein
Verrat an den kurdischen YPG-Milizen, die in den vergangenen Jahren
als die Bodentruppen der USA in Syrien gekämpft haben. Denn Ankara
würde bei einem Einmarsch in Syrien wohl vor allem Kurden und weniger
den IS bekämpfen. Jetzt rudert Washington zurück, forderte
Sicherheitsgarantien für die Kurden - und holte sich in Ankara eine
Abfuhr. Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
im Auswärtigen Ausschuss, kritisiert, dass in Washington "keine
Gesamtabwägungsprozesse mehr stattfinden und außenpolitische
Gewissheiten über Nacht über Bord geworfen werden." Da die Einhegung
des "unberechenbaren" US-Präsidenten über die UN wenig
erfolgversprechend sei, fordert Kiesewetter im "Interview der Woche"
der Lüneburger Landeszeitung, dass die Europäer die
sicherheitspolitischen Fähigkeiten entwickeln, um "weltpolitikfähig"
zu werden.
Erst kündigt US-Präsident Trump den schnellen Abzug der GIs aus
Syrien an, jetzt rudert er zurück und fordert von Erdogan
Sicherheitsgarantien für die Kurden. Hat ihm jemand deutlich machen
können, dass sein Alleingang ein verheerender strategischer Fehler
war? Roderich Kiesewetter: Ich gehe davon aus, dass Trump somit die
syrischen Kurden nun doch vorerst vor einem Angriff der Türkei
schützen möchte. Ferner geht es ihm auch um die mit einem Angriff
höchstwahrscheinlich einhergehende Freilassung von 2000 IS-Kämpfern
und Familienangehörigen in kurdischen Gefängnissen.
Welchen Wert hätte eine Zusicherung Erdogans, die "Kurden nicht
abzuschlachten", wenn keine US-Truppen als Wächter mehr vor Ort sind?
Es geht nicht um einen Genozid, der bevorsteht, sondern um die
Machtausdehnung der Türkei bis tief in die kurdischen Gebiete.
Dadurch soll eine regionale Vormachtstellung etabliert werden. Die
türkischen Truppen sind ja schon an der Grenze zusammengezogen. Ein
anderer Punkt kommt hinzu: Die Türkei kann den IS nicht wirksam
nachhaltig bekämpfen. Ihr fehlen schlicht und ergreifend die
Ressourcen, so weit wie nötig nach Syrien vorzudringen.
Da Trump den Weltsheriffsstern verweigert, sind Russland, die
Türkei und der Iran die neuen Ordnungsmächte im Nahen Osten. Im
Kreml wird man sich mit Krim-Sekt zuprosten, dass man so frühzeitig
diesem Kandidaten den Weg ins Weiße Haus geebnet hat, oder? Trump ist
nicht nur für uns Europäer unberechenbar, er ist es auch für
Russland. Im Gegensatz zu uns ist Russland allerdings stets in
Gegnerschaft zu den USA. Insofern nutzt Russland jedes Machtvakuum im
Nahen Osten geschickt, das die USA unter Trump freigeben, ohne dabei
zu viele Ressourcen zu verschwenden. Zugleich wissen die Russen, dass
ein Wiederaufbau und politische Stabilität nicht durch eine
dauerhafte militärische Präsenz möglich ist und enorme finanzielle
Ressourcen verschlingen wird. Deshalb bestünde gerade durch eine
aktivere Rolle der USA die Möglichkeit, Russland Zugeständnisse
abzuringen.
Trumps Innenpolitik bestimmt die Außenpolitik. Der Deal mit
Nordkorea sollte von den Russland-Ermittlungen gegen ihn ablenken.
Die Truppenabzüge aus Afghanistan und Syrien die Anhänger
zufriedenstellen. Muss sich Europa auf eine Phase der
Sprunghaftigkeit einstellen, in der strategisches Denken out ist? Das
ist meines Erachtens schon seit einiger Zeit der Fall. Außen- und
Innenpolitik sind immer verknüpft, auch bei politischen
Entscheidungen in anderen Staaten. Allerdings ist dies bei Trump eine
Einbahnstraße, die gewissermaßen seine "America-First"-Politik
operationalisiert. Dabei finden zunehmend keine
Gesamtabwägungsprozesse statt und außenpolitische Gewissheiten werden
über Nacht über Bord geworfen.
Können Paris und Berlin den sprunghaften US-Präsidenten einhegen,
wenn sie im März beziehungsweise April den Vorsitz im
Weltsicherheitsrat übernehmen? Das glaube ich nur bedingt. Wir wollen
allerdings alles dafür tun, die multilaterale internationale Ordnung
aufrechtzuerhalten. Als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat
legen wir unseren Fokus neben der Bewältigung und der Prävention von
Konflikten darauf, weitere Themen auf die Agenda setzen. Dazu gehört
der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Sicherheitspolitik, die
Stärkung des humanitären Systems, Abrüstung und Rüstungskontrolle,
Menschenrechtsfragen und die Rolle der Frauen bei Konfliktprävention
und -bewältigung.
Bleibt der Entwurf einer einheitlichen Strategie Europas Illusion
in einer Ära, in der die EU Großbritannien verliert und sich immer
mehr Bürger von ihr abwenden? Sicher sind die strategischen Kulturen
der europäischen Staaten noch teilweise sehr unterschiedlich. Dennoch
haben wir uns auf eine Globale Strategie der EU geeinigt und finden
auf immer mehr Ebenen Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Dies müssen
wir beherzt intensivieren bei gleichzeitiger Erklärung der
Notwendigkeit an unsere Bürgerinnen und Bürger.
Ist die Zeit vorbei, in der sich Europa auf die Aufnahme von
Flüchtlingen und die Stabilisierung von Staaten spezialisierte,
während die USA die kriegerischen Aufgaben übernahm? Fakt ist, dass
es einer fairen transatlantischen Lastenteilung bedarf und wir als
Europäer "weltpolitikfähig" werden müssen, wie dies der derzeitige
Kommissionspräsident ausgedrückt hat. Dafür sollten wir auch die
notwendigen Fähigkeiten vorhalten, ohne die es nicht möglich ist.
Der stetige Wechsel zwischen Drohungen und Umarmungen ist auch
Trumps Taktik gegenüber China. Wird sein strategisches Unvermögen den
Aufstieg Chinas und Amerikas Abstieg beschleunigen? Ja, davon gehe
ich aus.
Ist der Verrat Trumps an den kurdischen YPG-Milizen auch ein
Lehrstück für die NATO? Das Zurückstutzen des Paktes war auch ein
Wahlkampfversprechen. Sollte sich Europa darauf einstellen, bald ohne
Schutzmacht zu sein, wenn Trump seine Umfrageprozente erhöhen will?
Der Rückzug aus Nordsyrien ist ja mittlerweile schon verschoben.
Selbstverständlich sollte sich Europa künftig selbst um seine
Sicherheit kümmern. Trump pocht auf die Einhaltung des
Zwei-Prozent-Ziels, das ein gemeinsam vereinbartes Ziel der Europäer
mit Präsident Obama darstellt. Gleichzeitig erhöhen sich bei uns die
Militärausgaben und wir sind mit den Trendwenden dabei, die
Bundeswehr wieder besser aufzustellen. Dies braucht Zeit. In den USA
besteht parteiübergreifend Konsens, die enge Bindung mit den
Europäern zu erhalten und dass dies im zentralen nationalen Interesse
steht.
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Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
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