18.01.2019 15:08 | Landeszeitung Lüneburg | Presseschau
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Landeszeitung Lüneburg: Angst vor der AfD befeuert das Gefeilsche um Kohle-Milliarden Lüneburger Umweltrechtler Prof. Thomas Schomerus empfiehlt den Atomkonsens als Vorbild für den Kohleausstieg
Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler
Hat sich beim Kohlegipfel abgezeichnet, inwieweit der Atomkonsens
eine Blaupause für den Kohleausstieg sein kann? Prof. Thomas
Schomerus: Klar ist, dass zwischen Atomkraft und Kohle erhebliche
Unterschiede bestehen. Auf der einen Seite haben wir eine
Hochrisikotechnologie, die ihre Abfallprodukte auf eine Million Jahre
hinaus sicher endlagern muss. Auf der anderen Seite die
traditionelle, für sich genommen wenig riskante
Kohlekraftwerkstechnik, die aber als Langzeitfolge den Klimawandel
nach sich zieht. Das sind zwei verschiedene Probleme, deren
rechtliche Fragen aber durchaus vergleichbar sind. Insbesondere muss
man beim Kohleausstieg die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2016 zum Atomausstieg
beachten. Damals hat Karlsruhe geurteilt, dass der Atomausstieg
grundsätzlich zulässig gewesen sei. Er stelle keine Enteignung dar,
sondern eine sogenannte Inhalts- und Schrankenbestimmung. Der
Gesetzgeber habe einen großen Gestaltungsspielraum. Dies ist auf den
Kohleausstieg übertragbar.
Wie kann bei einem Kohleausstiegsgesetz der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit gewahrt werden? Diese Frage ist umstritten. Unser
Gutachten für das Bundesumweltministerium, das der Kohle-Kommission
zur Verfügung gestellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass man ein
Kohleausstiegsgesetz verfassungskonform gestalten und sogar
Ausgleichszahlungen vermeiden kann. Durch angemessene
Übergangsfristen und Stilllegungsreihenfolgen der Kraftwerke - wie
beim Atomausstieg - kann den berechtigten Interessen der Betreiber
und der betroffenen Regionen begegnet werden. Dabei muss auch darauf
geachtet werden, ob sich ein Kraftwerk bereits amortisiert hat - dann
ist eine Stilllegung eher verhältnismäßig.
Muss die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Eigentumsrechte
auch an übergeordneten Zielen wie dem Schutz von Klima und Mensch
gemessen werden? Auf jeden Fall. Die Prüfung auf Verhältnismäßigkeit
besteht aus mehreren Elementen: 1. Ist das Ziel legitim? Der
Klimaschutz dient dem Allgemeinwohl. Niemand bezweifelt, dass wir aus
der Kohle aussteigen müssen, es geht nur um die Fragen des Wann und
Wie. 2. Ist ein Kohleausstiegsgesetz geeignet, das Ziel zu erreichen?
Da gibt es Bedenken der Kohleindustrie. Sie moniert den sogenannten
"Wasserbett-Effekt", der die Zielerreichung konterkarieren kann, etwa
indem polnische Kohlekraftwerke im Emissionshandel freiwerdende
deutsche Zertifikate nutzen. Allerdings hat der europäische
Gesetzgeber hier 2018 reagiert und geregelt, dass bei
CO₂-Reduktionen in einem Mitgliedstaat, z.B. durch den
Kohleausstieg, die Gesamtmenge der Emissionszertifikate entsprechend
verringert werden kann. Man könnte auch argumentieren, dass ein
Ausstieg Deutschlands bei einem Anteil von nur etwas über zwei
Prozent beim CO₂-Ausstoß global keine Rolle spiele. Dem stehen
aber unsere Verpflichtungen nach dem Pariser Klimaabkommen und die
weltweite Vorbildfunktion des Hochtechnologielandes Deutschlands
entgegen. 3. Ist ein Ausstiegsgesetz erforderlich oder gibt es
andere geeignete Instrumente, etwa den Emissionshandel oder eine
CO₂-Steuer? Mit solchen Mitteln haben etwa die Briten innerhalb
von fünf Jahren den Anteil der Kohle an der Stromerzeugung von 39 auf
2 Prozent gesenkt. Wir halten diese Maßnahme aber für nicht gleich
geeignet, weil man damit nicht die Stilllegungsreihenfolge steuern
kann. Würde man das britische Modell übernehmen, würden die
Braunkohlekraftwerke mit ihren höheren spezifischen
CO₂-Emissionen zuerst abgeschaltet werden, was in Regionen wie
der Lausitz zu sozialen Verwerfungen führen kann. Daher brauchen wir
ein Ausstiegsgesetz, das die Stilllegungsreihenfolge unter
Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und ökologischer Kriterien
regelt.
Die Situation hatte zwar nichts anderes erlaubt, aber hätte es
weniger Probleme gegeben, wenn der Kohle- vor dem Atomausstieg
gelegen hätte? Ein britischer Kollege hat mich jüngst in Taiwan
gefragt, wieso wir vor den Kohle- die Atomkraftwerke abschalten, "die
doch die sichersten der Welt seien". Diese Frage ist nur noch
historischer Natur. Es ist gesetzlich fixiert, dass 2022 das letzte
Atomkraftwerk abgeschaltet wird. Dabei sollte es auch bleiben.
Rückt die Notwendigkeit der CO2-Reduktion angesichts des
Klimawandels die traditionelle Kohleverstromungstechnik in die Nähe
der Hochrisikotechnologie Kernkraft? Das kann man so sehen. Wir
wissen immer genauer, was in Sachen Klimawandel auf uns zukommt.
Unter den Vernünftigen dieser Welt, zu denen leider nicht alle
gewählten Regierenden zählen, ist Konsens, dass wir die Erwärmung auf
1,5 Grad begrenzen müssen. Ob ich durch einen Atomunfall verstrahlt
werde oder meine Urenkel durch den Klimawandel in einer
lebensfeindlichen Umwelt leben müssen, ist vom Effekt her
vergleichbar. Daher können die Maßstäbe, die das
Bundesverfassungsgericht für den Atomausstieg angelegt hat, bei
entsprechender Anpassung auch auf den Kohleausstieg angewandt werden.
Derzeit ist ein großes Kohlekraftwerk in Deutschland im Bau, zwei
werden geplant. Muss der Staat den Konzernen Ausgleichszahlungen
leisten, deren Investitionen sich nicht mehr rechnen werden? Das ist
grundsätzlich möglich. Je neuer ein Kraftwerk ist, je weniger es sich
amortisiert hat, desto größer ist die Möglichkeit, dass ein Ausgleich
erforderlich ist. Dabei sollte man nur im Extremfall an einen
finanziellen Ausgleich denken, den letztlich der Steuerzahler trägt.
Zunächst sollte eher die Verlängerung von Laufzeiten oder die
Verschiebung von Verstromungskapazitäten erwogen werden.
Bremst bei ausländischen Konzerneignern das europäische oder
internationale Recht die Ausstiegspläne? Die Kohleindustrie
argumentiert in der Tat, dass ein Eingriff in europäische Grundrechte
vorliege, etwa die Eigentumsfreiheit. Schlüssig finde ich das nicht,
weil der Kohleausstieg ein nationales Projekt ist und nicht durch
europäisches Recht erzwungen wird. Nicht auszuschließen sind Klagen
ausländischer Betreiber aufgrund der Energiecharta, einem
Investitionsschutzabkommen, vor einem internationalen Schiedsgericht
in Washington. Das hat zum Beispiel Vattenfall im Falle der
umweltrechtlichen Einschränkungen beim Kohlekraftwerk Moorburg und
wegen des Atomausstiegs getan. Das Problem dieser Verfahren ist ihre
Intransparenz. Dabei geht es aber nicht um das Ob und Wie des
Kohleausstiegs, sondern nur um finanzielle Entschädigungen.
Sind die Milliardensubventionen für betroffene Regionen zulässig?
Beim Kohlegipfel scheint Berlin insofern eingelenkt zu haben, als es
Beihilfen in den betroffenen Ländern in Aussicht stellt. Es war klar,
dass der Kohleausstieg politisch nicht umsonst zu haben sein wird.
Man muss abwarten, ob die EU-Kommission solchen Beihilfen zustimmt.
Eine rechtliche Verpflichtung für solche Förderungen der
Regionalstruktur besteht jedenfalls nicht.
In einem Konsensentwurf soll stehen, dass den Beschäftigten "keine
unbilligen sozialen oder ökonomischen Nachteile entstehen sollen".
Ist das Wortgeklingel? Ein Kumpel im Lausitzer Tagebau kann durch den
Ausstieg seinen Job verlieren. Da ist etwas dran. Zunächst gehört die
notwendige Absicherung des Strukturwandels nicht zwingend in ein
Kohleausstiegsgesetz, sondern kann durch andere Maßnahmen
gewährleistet werden. Auch kann der Faktor Zeit die sozialen Härten
abmildern. Ca. zwei Drittel der Beschäftigten in der
Braunkohleindustrie sind schon älter als 46 Jahre. Bei einem Ausstieg
um die Jahre 2030 bis 2035 wären diese Mitarbeiter ohnehin nahe am
Rentenalter. Man kann das Ganze auch angesichts überschaubarer
Arbeitsplatzzahlen in diesem Bereich durchaus sozialverträglich
gestalten. Hinter dem derzeitigen Gefeilsche um Milliarden steckt
wohl auch die Angst vor der AfD. Wir haben in diesem Jahr Wahlen in
drei vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländern, in denen sich die
AfD zum Streiter für die Kumpel stilisiert. Unter anderem auch
deshalb wird wohl zuerst im Westen stillgelegt, erst dann im Osten.
Können Ewigkeitskosten eingepreist werden durch mögliche
ökologische Schäden des Braunkohleabbaus? So hat der
Steinkohlebergbau ein durchlöchertes Ruhrgebiet zurückgelassen, das
ohne den dauerhaften Betrieb von Pumpen zur Seenplatte werden würde.
Das wird von der Braunkohleindustrie gefordert, die darauf verweist,
dass sie auf lange Zeit Gewinne machen muss, um die Kosten der
anstehenden Renaturierungen tragen zu können. Bleiben entsprechende
Profite aus, kann es sein, dass der Staat, also der Steuerzahler
übernehmen muss. Noch ist die Braunkohle profitabel. Es muss darauf
geachtet werden, dass Rücklagen für die Renaturierung gebildet
werden.
Der Hambacher Forst hat Gorleben als Mobilisierungssymbol
abgelöst. Auch im Osten ist das Thema emotional aufgeladen. Ist der
Kohleausstieg weniger ein rechtliches, als vielmehr ein politisches
und wirtschaftliches Problem? Das ist meine These. Die rechtlichen
Probleme lassen sich unionsrechts- und verfassungskonform lösen. Die
politische Frage ist eher: Ist unsere Gesellschaft bereit, die
sozialen Kosten dieses Ausstiegs zu schultern? Hier plädiere ich für
einen Kohlekonsens analog zum Atomkonsens. Dazu müssten beide Seiten
nachgeben. Beim Ausstiegsdatum muss aber der Klimaschutz in den
Vordergrund gerückt werden. Denn je früher wir aussteigen, desto
geringer sind die Kosten durch den Klimawandel. Nach Fukushima gab es
einen allgemeinen Konsens, dass die Nutzung der Atomtechnologie zu
riskant sei. So weit sind wir bei der Kohle noch nicht. Alle
relevanten Fragen müssen verständlich aufbereitet werden. Das ist
schwieriger, weil dramatische Bilder wie aus Fukushima fehlen und der
Klimawandel nach unserem Empfinden schleichend geschieht. Für eine
nachhaltige Energieversorgung in Verantwortung für die nachfolgenden
Generationen ist ein unverzüglicher Kohleausstieg geboten.
Zur Person
Thomas Schomerus (* 1957) ist Professor für Öffentliches Recht,
insbesondere Energie- und Umweltrecht an der Leuphana Universität
Lüneburg. 2014 wurde er zudem zum Richter am Oberverwaltungsgericht
Lüneburg ernannt. Er hat im Auftrag des Bundesumweltministeriums ein
Rechtsgutachten über die Frage verfasst, ob eine vorzeitige
Abschaltung von Kohlekraftwerken verfassungsrechtlich zulässig ist.
Schomerus ist Ko-Autor des Kommentars zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell
Hat sich beim Kohlegipfel abgezeichnet, inwieweit der Atomkonsens
eine Blaupause für den Kohleausstieg sein kann? Prof. Thomas
Schomerus: Klar ist, dass zwischen Atomkraft und Kohle erhebliche
Unterschiede bestehen. Auf der einen Seite haben wir eine
Hochrisikotechnologie, die ihre Abfallprodukte auf eine Million Jahre
hinaus sicher endlagern muss. Auf der anderen Seite die
traditionelle, für sich genommen wenig riskante
Kohlekraftwerkstechnik, die aber als Langzeitfolge den Klimawandel
nach sich zieht. Das sind zwei verschiedene Probleme, deren
rechtliche Fragen aber durchaus vergleichbar sind. Insbesondere muss
man beim Kohleausstieg die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2016 zum Atomausstieg
beachten. Damals hat Karlsruhe geurteilt, dass der Atomausstieg
grundsätzlich zulässig gewesen sei. Er stelle keine Enteignung dar,
sondern eine sogenannte Inhalts- und Schrankenbestimmung. Der
Gesetzgeber habe einen großen Gestaltungsspielraum. Dies ist auf den
Kohleausstieg übertragbar.
Wie kann bei einem Kohleausstiegsgesetz der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit gewahrt werden? Diese Frage ist umstritten. Unser
Gutachten für das Bundesumweltministerium, das der Kohle-Kommission
zur Verfügung gestellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass man ein
Kohleausstiegsgesetz verfassungskonform gestalten und sogar
Ausgleichszahlungen vermeiden kann. Durch angemessene
Übergangsfristen und Stilllegungsreihenfolgen der Kraftwerke - wie
beim Atomausstieg - kann den berechtigten Interessen der Betreiber
und der betroffenen Regionen begegnet werden. Dabei muss auch darauf
geachtet werden, ob sich ein Kraftwerk bereits amortisiert hat - dann
ist eine Stilllegung eher verhältnismäßig.
Muss die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Eigentumsrechte
auch an übergeordneten Zielen wie dem Schutz von Klima und Mensch
gemessen werden? Auf jeden Fall. Die Prüfung auf Verhältnismäßigkeit
besteht aus mehreren Elementen: 1. Ist das Ziel legitim? Der
Klimaschutz dient dem Allgemeinwohl. Niemand bezweifelt, dass wir aus
der Kohle aussteigen müssen, es geht nur um die Fragen des Wann und
Wie. 2. Ist ein Kohleausstiegsgesetz geeignet, das Ziel zu erreichen?
Da gibt es Bedenken der Kohleindustrie. Sie moniert den sogenannten
"Wasserbett-Effekt", der die Zielerreichung konterkarieren kann, etwa
indem polnische Kohlekraftwerke im Emissionshandel freiwerdende
deutsche Zertifikate nutzen. Allerdings hat der europäische
Gesetzgeber hier 2018 reagiert und geregelt, dass bei
CO₂-Reduktionen in einem Mitgliedstaat, z.B. durch den
Kohleausstieg, die Gesamtmenge der Emissionszertifikate entsprechend
verringert werden kann. Man könnte auch argumentieren, dass ein
Ausstieg Deutschlands bei einem Anteil von nur etwas über zwei
Prozent beim CO₂-Ausstoß global keine Rolle spiele. Dem stehen
aber unsere Verpflichtungen nach dem Pariser Klimaabkommen und die
weltweite Vorbildfunktion des Hochtechnologielandes Deutschlands
entgegen. 3. Ist ein Ausstiegsgesetz erforderlich oder gibt es
andere geeignete Instrumente, etwa den Emissionshandel oder eine
CO₂-Steuer? Mit solchen Mitteln haben etwa die Briten innerhalb
von fünf Jahren den Anteil der Kohle an der Stromerzeugung von 39 auf
2 Prozent gesenkt. Wir halten diese Maßnahme aber für nicht gleich
geeignet, weil man damit nicht die Stilllegungsreihenfolge steuern
kann. Würde man das britische Modell übernehmen, würden die
Braunkohlekraftwerke mit ihren höheren spezifischen
CO₂-Emissionen zuerst abgeschaltet werden, was in Regionen wie
der Lausitz zu sozialen Verwerfungen führen kann. Daher brauchen wir
ein Ausstiegsgesetz, das die Stilllegungsreihenfolge unter
Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und ökologischer Kriterien
regelt.
Die Situation hatte zwar nichts anderes erlaubt, aber hätte es
weniger Probleme gegeben, wenn der Kohle- vor dem Atomausstieg
gelegen hätte? Ein britischer Kollege hat mich jüngst in Taiwan
gefragt, wieso wir vor den Kohle- die Atomkraftwerke abschalten, "die
doch die sichersten der Welt seien". Diese Frage ist nur noch
historischer Natur. Es ist gesetzlich fixiert, dass 2022 das letzte
Atomkraftwerk abgeschaltet wird. Dabei sollte es auch bleiben.
Rückt die Notwendigkeit der CO2-Reduktion angesichts des
Klimawandels die traditionelle Kohleverstromungstechnik in die Nähe
der Hochrisikotechnologie Kernkraft? Das kann man so sehen. Wir
wissen immer genauer, was in Sachen Klimawandel auf uns zukommt.
Unter den Vernünftigen dieser Welt, zu denen leider nicht alle
gewählten Regierenden zählen, ist Konsens, dass wir die Erwärmung auf
1,5 Grad begrenzen müssen. Ob ich durch einen Atomunfall verstrahlt
werde oder meine Urenkel durch den Klimawandel in einer
lebensfeindlichen Umwelt leben müssen, ist vom Effekt her
vergleichbar. Daher können die Maßstäbe, die das
Bundesverfassungsgericht für den Atomausstieg angelegt hat, bei
entsprechender Anpassung auch auf den Kohleausstieg angewandt werden.
Derzeit ist ein großes Kohlekraftwerk in Deutschland im Bau, zwei
werden geplant. Muss der Staat den Konzernen Ausgleichszahlungen
leisten, deren Investitionen sich nicht mehr rechnen werden? Das ist
grundsätzlich möglich. Je neuer ein Kraftwerk ist, je weniger es sich
amortisiert hat, desto größer ist die Möglichkeit, dass ein Ausgleich
erforderlich ist. Dabei sollte man nur im Extremfall an einen
finanziellen Ausgleich denken, den letztlich der Steuerzahler trägt.
Zunächst sollte eher die Verlängerung von Laufzeiten oder die
Verschiebung von Verstromungskapazitäten erwogen werden.
Bremst bei ausländischen Konzerneignern das europäische oder
internationale Recht die Ausstiegspläne? Die Kohleindustrie
argumentiert in der Tat, dass ein Eingriff in europäische Grundrechte
vorliege, etwa die Eigentumsfreiheit. Schlüssig finde ich das nicht,
weil der Kohleausstieg ein nationales Projekt ist und nicht durch
europäisches Recht erzwungen wird. Nicht auszuschließen sind Klagen
ausländischer Betreiber aufgrund der Energiecharta, einem
Investitionsschutzabkommen, vor einem internationalen Schiedsgericht
in Washington. Das hat zum Beispiel Vattenfall im Falle der
umweltrechtlichen Einschränkungen beim Kohlekraftwerk Moorburg und
wegen des Atomausstiegs getan. Das Problem dieser Verfahren ist ihre
Intransparenz. Dabei geht es aber nicht um das Ob und Wie des
Kohleausstiegs, sondern nur um finanzielle Entschädigungen.
Sind die Milliardensubventionen für betroffene Regionen zulässig?
Beim Kohlegipfel scheint Berlin insofern eingelenkt zu haben, als es
Beihilfen in den betroffenen Ländern in Aussicht stellt. Es war klar,
dass der Kohleausstieg politisch nicht umsonst zu haben sein wird.
Man muss abwarten, ob die EU-Kommission solchen Beihilfen zustimmt.
Eine rechtliche Verpflichtung für solche Förderungen der
Regionalstruktur besteht jedenfalls nicht.
In einem Konsensentwurf soll stehen, dass den Beschäftigten "keine
unbilligen sozialen oder ökonomischen Nachteile entstehen sollen".
Ist das Wortgeklingel? Ein Kumpel im Lausitzer Tagebau kann durch den
Ausstieg seinen Job verlieren. Da ist etwas dran. Zunächst gehört die
notwendige Absicherung des Strukturwandels nicht zwingend in ein
Kohleausstiegsgesetz, sondern kann durch andere Maßnahmen
gewährleistet werden. Auch kann der Faktor Zeit die sozialen Härten
abmildern. Ca. zwei Drittel der Beschäftigten in der
Braunkohleindustrie sind schon älter als 46 Jahre. Bei einem Ausstieg
um die Jahre 2030 bis 2035 wären diese Mitarbeiter ohnehin nahe am
Rentenalter. Man kann das Ganze auch angesichts überschaubarer
Arbeitsplatzzahlen in diesem Bereich durchaus sozialverträglich
gestalten. Hinter dem derzeitigen Gefeilsche um Milliarden steckt
wohl auch die Angst vor der AfD. Wir haben in diesem Jahr Wahlen in
drei vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländern, in denen sich die
AfD zum Streiter für die Kumpel stilisiert. Unter anderem auch
deshalb wird wohl zuerst im Westen stillgelegt, erst dann im Osten.
Können Ewigkeitskosten eingepreist werden durch mögliche
ökologische Schäden des Braunkohleabbaus? So hat der
Steinkohlebergbau ein durchlöchertes Ruhrgebiet zurückgelassen, das
ohne den dauerhaften Betrieb von Pumpen zur Seenplatte werden würde.
Das wird von der Braunkohleindustrie gefordert, die darauf verweist,
dass sie auf lange Zeit Gewinne machen muss, um die Kosten der
anstehenden Renaturierungen tragen zu können. Bleiben entsprechende
Profite aus, kann es sein, dass der Staat, also der Steuerzahler
übernehmen muss. Noch ist die Braunkohle profitabel. Es muss darauf
geachtet werden, dass Rücklagen für die Renaturierung gebildet
werden.
Der Hambacher Forst hat Gorleben als Mobilisierungssymbol
abgelöst. Auch im Osten ist das Thema emotional aufgeladen. Ist der
Kohleausstieg weniger ein rechtliches, als vielmehr ein politisches
und wirtschaftliches Problem? Das ist meine These. Die rechtlichen
Probleme lassen sich unionsrechts- und verfassungskonform lösen. Die
politische Frage ist eher: Ist unsere Gesellschaft bereit, die
sozialen Kosten dieses Ausstiegs zu schultern? Hier plädiere ich für
einen Kohlekonsens analog zum Atomkonsens. Dazu müssten beide Seiten
nachgeben. Beim Ausstiegsdatum muss aber der Klimaschutz in den
Vordergrund gerückt werden. Denn je früher wir aussteigen, desto
geringer sind die Kosten durch den Klimawandel. Nach Fukushima gab es
einen allgemeinen Konsens, dass die Nutzung der Atomtechnologie zu
riskant sei. So weit sind wir bei der Kohle noch nicht. Alle
relevanten Fragen müssen verständlich aufbereitet werden. Das ist
schwieriger, weil dramatische Bilder wie aus Fukushima fehlen und der
Klimawandel nach unserem Empfinden schleichend geschieht. Für eine
nachhaltige Energieversorgung in Verantwortung für die nachfolgenden
Generationen ist ein unverzüglicher Kohleausstieg geboten.
Zur Person
Thomas Schomerus (* 1957) ist Professor für Öffentliches Recht,
insbesondere Energie- und Umweltrecht an der Leuphana Universität
Lüneburg. 2014 wurde er zudem zum Richter am Oberverwaltungsgericht
Lüneburg ernannt. Er hat im Auftrag des Bundesumweltministeriums ein
Rechtsgutachten über die Frage verfasst, ob eine vorzeitige
Abschaltung von Kohlekraftwerken verfassungsrechtlich zulässig ist.
Schomerus ist Ko-Autor des Kommentars zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Pressekontakt:
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Werner Kolbe
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werner.kolbe@landeszeitung.de
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