15.07.2019 20:03 | BERLINER MORGENPOST | Presseschau
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BERLINER MORGENPOST: Weniger ist nicht besser / Leitartikel von Philipp Neumann zu Schließungen von Krankenhäusern
Berlin (ots) - Kurzform: Wer auf dem Land ein Krankenhaus
schließt, muss der Bevölkerung überzeugende Alternativen anbieten.
Dabei geht es um mehr als die Frage, wie viele Menschen bei einem
Herzinfarkt binnen 30 Minuten medizinisch versorgt werden können -
und wie man diese 30 Minuten berechnet. Es geht um Funklöcher, den
öffentlichen Nahverkehr und nicht zuletzt um den Bäcker an der Ecke.
Der Eindruck, zurückgelassen zu werden, darf nicht entstehen.
Der vollständige Leitartikel: Allein die Zahlen reichen aus, um
die Gemüter zu erregen: Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung
empfiehlt die Schließung von mehr als der Hälfte der Krankenhäuser.
Von 1400 Kliniken sollen noch 600 übrig bleiben, wenn überhaupt. Die
medizinische Qualität sei sonst zu schlecht und der Betrieb vieler
Häuser zu teuer, lautet die Begründung. Die Reaktionen auf diesen
Vorschlag sind erwartbar heftig. Die Vertreter der Krankenhäuser
sprechen von der "Zerstörung sozialer Infrastruktur". Doch die
Empörung schießt übers Ziel hinaus. Dass es in Deutschland zu viele
Krankenhäuser mit zu vielen Betten gibt, ist keine ganz neue
Erkenntnis. Seit Jahren kommen Studien zu diesem Ergebnis. Auch dass
die medizinische Qualität besser wird, je öfter und damit
routinierter Eingriffe und Behandlungen vorgenommen werden, ist
bekannt. Das Stichwort dazu lautet: Spezialisierung. Neu ist jetzt
vor allem die Dimension, in der die Experten der Bertelsmann-Stiftung
den Abbau überzähliger Kapazitäten und eine Veränderung der
Versorgungsstrukturen fordern. Womöglich entspringt diese Radikalität
dem Wunsch nach möglichst großer Aufmerksamkeit für die Studie. Ein
Blick auf Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigt: Schon jetzt gibt
es immer weniger Krankenhäuser. Es gibt immer weniger Betten, aber
auch eine immer geringere Auslastung dieser Betten. Das liegt daran,
dass die Patienten immer kürzer in der Klinik bleiben. Und das,
obwohl die Krankenhäuser immer mehr Behandlungsfälle haben. Mit
anderen Worten: Die Krankenhauslandschaft verändert sich bereits.
Immer mehr Patienten werden ambulant versorgt. Es geht vielleicht zu
langsam, aber es herrscht auch kein Stillstand. Ein Punkt, den die
Experten machen, ist zweifelsohne richtig: Würde man die zu geringe
Zahl an gut ausgebildeten Pflegern und Ärzten auf weniger Kliniken
verteilen, könnten die Patienten tatsächlich besser versorgt werden.
Einzelne Schichten könnten besser besetzt werden. Auch die technische
Ausstattung der Kliniken könnte besser sein, weil das Geld auf
weniger Häuser verteilt würde. Zu beweisen wäre aber, dass diese
positiven Effekte einer Zentralisierung nicht dazu führen, dass
trotzdem Personal abgebaut wird, um die Rendite hochzuhalten. Unterm
Strich würde sich dann nämlich kaum etwas ändern. Dass
Strukturveränderungen bei den Krankenhäusern notwendig und aus
Patientensicht auch sinnvoll sind, das können die Autoren der Studie
überzeugend zeigen. In Ballungszentren mögen ihre Rechenmodelle ohne
Probleme in die Praxis umsetzbar sein. Was der Studie jedoch fehlt,
sind Perspektiven für ländliche Regionen. Mehr Ideen, als dass dort
"alternative Strukturen" aufgebaut werden müssen, liefert die Studie
nicht. Wer auf dem Land ein Krankenhaus schließt, muss der
Bevölkerung überzeugende Alternativen anbieten. Dabei geht es um mehr
als die Frage, wie viele Menschen bei einem Herzinfarkt binnen 30
Minuten medizinisch versorgt werden können - und wie man diese 30
Minuten berechnet. Es geht um Funklöcher, den öffentlichen Nahverkehr
und nicht zuletzt um den Bäcker an der Ecke. Der Eindruck,
zurückgelassen zu werden, darf nicht entstehen. Die Bundesregierung
hat gerade erst angekündigt, überall im Land für gleichwertige
Lebensverhältnisse zu sorgen. Für Investitionen in die Krankenhäuser
sind die Bundesländer zuständig. Die Frage aber, ob ein schlechtes
Krankenhaus auf dem Land besser ist als gar kein Krankenhaus - diese
Frage wollen die Verantwortlichen keiner staatlichen Ebene wirklich
beantworten. Die Autoren der Studie übrigens auch nicht.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de
Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell
schließt, muss der Bevölkerung überzeugende Alternativen anbieten.
Dabei geht es um mehr als die Frage, wie viele Menschen bei einem
Herzinfarkt binnen 30 Minuten medizinisch versorgt werden können -
und wie man diese 30 Minuten berechnet. Es geht um Funklöcher, den
öffentlichen Nahverkehr und nicht zuletzt um den Bäcker an der Ecke.
Der Eindruck, zurückgelassen zu werden, darf nicht entstehen.
Der vollständige Leitartikel: Allein die Zahlen reichen aus, um
die Gemüter zu erregen: Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung
empfiehlt die Schließung von mehr als der Hälfte der Krankenhäuser.
Von 1400 Kliniken sollen noch 600 übrig bleiben, wenn überhaupt. Die
medizinische Qualität sei sonst zu schlecht und der Betrieb vieler
Häuser zu teuer, lautet die Begründung. Die Reaktionen auf diesen
Vorschlag sind erwartbar heftig. Die Vertreter der Krankenhäuser
sprechen von der "Zerstörung sozialer Infrastruktur". Doch die
Empörung schießt übers Ziel hinaus. Dass es in Deutschland zu viele
Krankenhäuser mit zu vielen Betten gibt, ist keine ganz neue
Erkenntnis. Seit Jahren kommen Studien zu diesem Ergebnis. Auch dass
die medizinische Qualität besser wird, je öfter und damit
routinierter Eingriffe und Behandlungen vorgenommen werden, ist
bekannt. Das Stichwort dazu lautet: Spezialisierung. Neu ist jetzt
vor allem die Dimension, in der die Experten der Bertelsmann-Stiftung
den Abbau überzähliger Kapazitäten und eine Veränderung der
Versorgungsstrukturen fordern. Womöglich entspringt diese Radikalität
dem Wunsch nach möglichst großer Aufmerksamkeit für die Studie. Ein
Blick auf Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigt: Schon jetzt gibt
es immer weniger Krankenhäuser. Es gibt immer weniger Betten, aber
auch eine immer geringere Auslastung dieser Betten. Das liegt daran,
dass die Patienten immer kürzer in der Klinik bleiben. Und das,
obwohl die Krankenhäuser immer mehr Behandlungsfälle haben. Mit
anderen Worten: Die Krankenhauslandschaft verändert sich bereits.
Immer mehr Patienten werden ambulant versorgt. Es geht vielleicht zu
langsam, aber es herrscht auch kein Stillstand. Ein Punkt, den die
Experten machen, ist zweifelsohne richtig: Würde man die zu geringe
Zahl an gut ausgebildeten Pflegern und Ärzten auf weniger Kliniken
verteilen, könnten die Patienten tatsächlich besser versorgt werden.
Einzelne Schichten könnten besser besetzt werden. Auch die technische
Ausstattung der Kliniken könnte besser sein, weil das Geld auf
weniger Häuser verteilt würde. Zu beweisen wäre aber, dass diese
positiven Effekte einer Zentralisierung nicht dazu führen, dass
trotzdem Personal abgebaut wird, um die Rendite hochzuhalten. Unterm
Strich würde sich dann nämlich kaum etwas ändern. Dass
Strukturveränderungen bei den Krankenhäusern notwendig und aus
Patientensicht auch sinnvoll sind, das können die Autoren der Studie
überzeugend zeigen. In Ballungszentren mögen ihre Rechenmodelle ohne
Probleme in die Praxis umsetzbar sein. Was der Studie jedoch fehlt,
sind Perspektiven für ländliche Regionen. Mehr Ideen, als dass dort
"alternative Strukturen" aufgebaut werden müssen, liefert die Studie
nicht. Wer auf dem Land ein Krankenhaus schließt, muss der
Bevölkerung überzeugende Alternativen anbieten. Dabei geht es um mehr
als die Frage, wie viele Menschen bei einem Herzinfarkt binnen 30
Minuten medizinisch versorgt werden können - und wie man diese 30
Minuten berechnet. Es geht um Funklöcher, den öffentlichen Nahverkehr
und nicht zuletzt um den Bäcker an der Ecke. Der Eindruck,
zurückgelassen zu werden, darf nicht entstehen. Die Bundesregierung
hat gerade erst angekündigt, überall im Land für gleichwertige
Lebensverhältnisse zu sorgen. Für Investitionen in die Krankenhäuser
sind die Bundesländer zuständig. Die Frage aber, ob ein schlechtes
Krankenhaus auf dem Land besser ist als gar kein Krankenhaus - diese
Frage wollen die Verantwortlichen keiner staatlichen Ebene wirklich
beantworten. Die Autoren der Studie übrigens auch nicht.
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