26.06.2019 16:03 | NDR Norddeutscher Rundfunk | Panorama
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Missbrauchsfall Lügde: Konkreter Verdacht schon vor 17 Jahren
Hamburg (ots) - Auf Andreas V., den Hauptbeschuldigten in dem am
27. Juni beginnenden Prozess wegen vielfachen Kindesmissbrauchs auf
dem Campingplatz Lügde, hat es schon vor fast 20 Jahren eindeutige
Hinweise gegeben. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ hätte der heute
56-Jährige wahrscheinlich schon damals gestoppt werden können, wenn
die Strafverfolgungsbehörden konsequent gehandelt hätten.
Bisher war zwar bekannt geworden, dass V. im Jahr 2002 auf eine
inoffizielle Liste der Polizei Lippe gelangt war, die mögliche
Sexualstraftaten sammelte. Reporter von NDR, WDR und SZ
rekonstruierten nun im Detail, welche Spuren die Ermittlungsbehörden
schon damals nicht verfolgten.
Im Jahr 1998 soll demnach ein damals vierjähriges Mädchen, das wie
viele andere Kinder auch für Freizeitaktivitäten und Ausflüge Zeit
bei Andreas V. verbrachte, seiner Mutter am Ende eines solchen Tages
gesagt haben: "Mama, Penis lecken schmeckt nicht." Die alarmierte
Frau sei von dem damaligen Campingplatzbetreiber aber zunächst
beruhigt worden ("Für Addy würde ich meine Hand ins Feuer legen") -
eine Begebenheit, von der der Platzwart heute sagt, sich nicht mehr
daran zu erinnern. Zwei Jahre später, im Jahr 2000, schilderte die
Mutter das Vorkommnis vom Campingplatz aber in einem anderen
Zusammenhang doch der Polizei. Damals verdächtige die Frau ihren
Ehemann, die eigene Tochter zu missbrauchen. In der handschriftlichen
Anzeige erinnerte sie auch an den angeblichen Vorfall mit dem
vermeintlichen Kinderfreund aus Lügde, nannte dessen Spitznamen,
lokalisierte den Campingplatz, zitierte ihre Tochter und schilderte
weitere Umstände.
Verfolgt wurde die Spur zu "Addy" vom Campingplatz jedoch nicht -
die Hinweise auf den Unbekannten seien zu vage gewesen, um einen
Anfangsverdacht zu begründen, sagt Oberstaatsanwalt Uwe Bremer von
der Staatsanwaltschaft Köln heute. Dem widerspricht der renommierte
Hamburger Strafrechtler Johann Schwenn vehement: "Hier hat ein Kind
einen eindeutig strafbaren Sachverhalt behauptet, hat einen möglichen
Täter genannt - und damit hatte die Staatsanwaltschaft die
Verpflichtung, die Ermittlungen aufzunehmen und dann auch
durchzuführen."
Weitere zwei Jahre danach, im Jahr 2002, gelangte der Hinweis auf
Andreas V. erneut in die Akten der Justiz, diesmal durch den Vater
des betroffenen Mädchens. Nun wurde zwar ein offizielles Verfahren
eingeleitet und an die zuständige Staatsanwaltschaft Detmold
weitergegeben - doch ob überhaupt je ermittelt wurde oder ob und wann
das Verfahren womöglich eingestellt wurde, will die
Staatsanwaltschaft heute auf Anfrage nicht sagen.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte
auf Anfrage von NDR, WDR und SZ: "Ich bin da fassungslos. Was aus
diesen weiteren Hinweisen in der Vergangenheit geworden ist, konnten
wir bisher noch nicht aufklären. Da kümmert sich jetzt die
Staatsanwaltschaft drum. Es wäre natürlich schlimm, wenn das Leid der
Kinder noch früher hätte gestoppt werden können." Weil auch später
weitere Hinweise auf Andreas V. offenbar nicht konsequent verfolgt
wurden, fügte Reul an: "Ob zwei oder sieben übersehene Hinweise -
eigentlich ist jeder einzelne übersehene oder nicht richtig
bearbeitete Hinweis einer zu viel. Das muss jetzt alles sehr
sorgfältig aufgeklärt und aufgearbeitet werden."
Am Donnerstag, 27. Juni, beginnt vor dem Landgericht Detmold der
Prozess gegen Andreas V. und die beiden Mitangeklagten Heiko V. und
Mario S.. Ihnen werden insgesamt mehr als 450 Einzeltaten sexueller
Gewalt gegen Kinder vorgeworfen. Bisher hat sich nur Heiko V.
teilweise eingelassen. Die beiden anderen schweigen. Der Verteidiger
von Mario S., Jürgen Bogner, hat allerdings angekündigt, dass sein
Mandant sich voraussichtlich zur Sache einlassen werde.
Den Fall des damals vierjährigen Mädchens halten die Ermittler
heute für so glaubwürdig, dass sie ihn in die Anklage aufgenommen
haben.
Das Erste zeigt am Mittwoch, 26. Juni, um 22.45 Uhr die WDR/NDR
Dokumentation "Lügde: Die Kinder, die keiner schützte".
Siehe auch http://ots.de/DB2rxH
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Tel: 040/ 4156-2304
Mail: i.bents@ndr.de
http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse
Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell
27. Juni beginnenden Prozess wegen vielfachen Kindesmissbrauchs auf
dem Campingplatz Lügde, hat es schon vor fast 20 Jahren eindeutige
Hinweise gegeben. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ hätte der heute
56-Jährige wahrscheinlich schon damals gestoppt werden können, wenn
die Strafverfolgungsbehörden konsequent gehandelt hätten.
Bisher war zwar bekannt geworden, dass V. im Jahr 2002 auf eine
inoffizielle Liste der Polizei Lippe gelangt war, die mögliche
Sexualstraftaten sammelte. Reporter von NDR, WDR und SZ
rekonstruierten nun im Detail, welche Spuren die Ermittlungsbehörden
schon damals nicht verfolgten.
Im Jahr 1998 soll demnach ein damals vierjähriges Mädchen, das wie
viele andere Kinder auch für Freizeitaktivitäten und Ausflüge Zeit
bei Andreas V. verbrachte, seiner Mutter am Ende eines solchen Tages
gesagt haben: "Mama, Penis lecken schmeckt nicht." Die alarmierte
Frau sei von dem damaligen Campingplatzbetreiber aber zunächst
beruhigt worden ("Für Addy würde ich meine Hand ins Feuer legen") -
eine Begebenheit, von der der Platzwart heute sagt, sich nicht mehr
daran zu erinnern. Zwei Jahre später, im Jahr 2000, schilderte die
Mutter das Vorkommnis vom Campingplatz aber in einem anderen
Zusammenhang doch der Polizei. Damals verdächtige die Frau ihren
Ehemann, die eigene Tochter zu missbrauchen. In der handschriftlichen
Anzeige erinnerte sie auch an den angeblichen Vorfall mit dem
vermeintlichen Kinderfreund aus Lügde, nannte dessen Spitznamen,
lokalisierte den Campingplatz, zitierte ihre Tochter und schilderte
weitere Umstände.
Verfolgt wurde die Spur zu "Addy" vom Campingplatz jedoch nicht -
die Hinweise auf den Unbekannten seien zu vage gewesen, um einen
Anfangsverdacht zu begründen, sagt Oberstaatsanwalt Uwe Bremer von
der Staatsanwaltschaft Köln heute. Dem widerspricht der renommierte
Hamburger Strafrechtler Johann Schwenn vehement: "Hier hat ein Kind
einen eindeutig strafbaren Sachverhalt behauptet, hat einen möglichen
Täter genannt - und damit hatte die Staatsanwaltschaft die
Verpflichtung, die Ermittlungen aufzunehmen und dann auch
durchzuführen."
Weitere zwei Jahre danach, im Jahr 2002, gelangte der Hinweis auf
Andreas V. erneut in die Akten der Justiz, diesmal durch den Vater
des betroffenen Mädchens. Nun wurde zwar ein offizielles Verfahren
eingeleitet und an die zuständige Staatsanwaltschaft Detmold
weitergegeben - doch ob überhaupt je ermittelt wurde oder ob und wann
das Verfahren womöglich eingestellt wurde, will die
Staatsanwaltschaft heute auf Anfrage nicht sagen.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte
auf Anfrage von NDR, WDR und SZ: "Ich bin da fassungslos. Was aus
diesen weiteren Hinweisen in der Vergangenheit geworden ist, konnten
wir bisher noch nicht aufklären. Da kümmert sich jetzt die
Staatsanwaltschaft drum. Es wäre natürlich schlimm, wenn das Leid der
Kinder noch früher hätte gestoppt werden können." Weil auch später
weitere Hinweise auf Andreas V. offenbar nicht konsequent verfolgt
wurden, fügte Reul an: "Ob zwei oder sieben übersehene Hinweise -
eigentlich ist jeder einzelne übersehene oder nicht richtig
bearbeitete Hinweis einer zu viel. Das muss jetzt alles sehr
sorgfältig aufgeklärt und aufgearbeitet werden."
Am Donnerstag, 27. Juni, beginnt vor dem Landgericht Detmold der
Prozess gegen Andreas V. und die beiden Mitangeklagten Heiko V. und
Mario S.. Ihnen werden insgesamt mehr als 450 Einzeltaten sexueller
Gewalt gegen Kinder vorgeworfen. Bisher hat sich nur Heiko V.
teilweise eingelassen. Die beiden anderen schweigen. Der Verteidiger
von Mario S., Jürgen Bogner, hat allerdings angekündigt, dass sein
Mandant sich voraussichtlich zur Sache einlassen werde.
Den Fall des damals vierjährigen Mädchens halten die Ermittler
heute für so glaubwürdig, dass sie ihn in die Anklage aufgenommen
haben.
Das Erste zeigt am Mittwoch, 26. Juni, um 22.45 Uhr die WDR/NDR
Dokumentation "Lügde: Die Kinder, die keiner schützte".
Siehe auch http://ots.de/DB2rxH
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Schlagwörter
Andreas V. , Missbrauchsfall Lügde , Sexualstraftat , Fernsehen , Ermittlungen , Medien , TV-Ausblick , Justiz , Panorama ,
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