29.11.2018 17:17 | NDR / Das Erste | Gesundheit / Medizin
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Implant Files: Bereichern sich Kliniken an fehlerhaften Herzgeräten?
Hamburg (ots) - Kliniken verdienen offenbar an defekten
Medizinprodukten. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher
Zeitung lassen sich Krankenhäuser implantierbare Defibrillatoren von
Krankenkassen bezahlen, obwohl sie diese als Ersatz für defekte
Geräte vom Hersteller kostenlos erhalten haben. Der AOK-Bundesverband
wirft den Krankenhäusern vor, sich auf diese Art zu bereichern. Nach
Angaben der Kasse sei allein ihren Versicherten dadurch ein Schaden
von mehreren zehn Millionen Euro entstanden.
Die Kasse geht von einem grundlegenden Problem bei der Abrechnung
von Austauschoperationen aus. Es handele es sich nicht um einen
Einzelfall, sagte Jürgen Malzahn vom Bundesverband der AOK. Pro Jahr
gebe es fünf bis zehn Serienschäden bei unterschiedlichen
Medizinprodukten wie Hüftprothesen oder Brustimplantaten. Wie oft
tatsächlich vom Hersteller kostenlose Ersatzgeräte zur Verfügung
gestellt werden und die Kliniken sie abrechnen, ist unklar.
Im konkreten Fall hatte die Firma St. Jude Medical - heute Abbott
- im Oktober 2016 vor einer vorzeitigen Batterieentladung bei
bestimmten Herzgeräten gewarnt. Es handelte sich um sogenannte
implantierbare Herzdefibrillatoren. Sie können einen kräftigen
Stromstoß abgeben, wenn das Herz aus dem Takt gerät, damit sich der
Herzschlag wieder normalisiert. Sollte sich die Batterie unbemerkt
entleeren, kann das Gerät im Notfall nicht reagieren.
Der Hersteller schrieb damals, wenn die Entscheidung getroffen
werde, das Gerät auszutauschen, stelle St. Jude "ein Ersatzgerät
kostenlos zur Verfügung". Bei wie vielen Patienten dies erfolgt ist,
ist unklar. Der Medizinprodukte-Hersteller Abbott hat auf Anfrage von
NDR, WDR, SZ nicht reagiert. Nach Schätzungen der AOK ließen sich in
Deutschland mehr als 10.000 Patienten ihr Gerät wechseln.
Für diese Austausch-Operationen stellen Krankenhäuser den Kassen
eine pauschale Summe in Rechnung. Die sogenannte Fallpauschale setzt
sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, darunter sind zum
Beispiel Personalkosten und die Kosten für das Implantat. Nach
Auffassung von Jürgen Malzahn vom AOK-Bundesverband hätten die
Kliniken den Anteil für die Herzgeräte abziehen müssen.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht dies so. Auf
Anfrage teilte sie mit, Kliniken müssten die Abrechnung um die
Gerätekosten mindern. Der Kostenvorteil dürfe nicht bei den Kliniken
liegen.
Im Fall der fehlerhaften Defibrillatoren versucht der
AOK-Bundesverband seit zwei Jahren, das Geld zumindest nachträglich
wieder einzutreiben - offenbar ein mühsames Geschäft. Jürgen Malzahn
sagt, die Kliniken informierten die Kassen nicht einmal pflichtgemäß,
so dass sie gar nicht erst erführen, ob und wo nach einem
Serienschaden entsprechende Ersatzgeräte eingesetzt werden.
Inzwischen weiß die AOK nach eigenen Angaben von 146
Krankenhäusern in Deutschland, in denen Patienten Ersatzgeräte
eingesetzt wurden. Etwa die Hälfte der angeschriebenen Kliniken hat
nach Angaben der AOK inzwischen die Kosten für die
Ersatz-Herzdefibrillatoren erstattet, unter anderem das Klinikum
Oldenburg. Es teilte auf Anfrage mit, dem Haus sei es wichtig gewesen
eine Lösung zu finden, "damit keine unbeabsichtigte Bereicherung
unseres Krankenhauses entsteht". Deshalb habe die Klinik den Anteil
für die Implantatkosten nachträglich aus den Rechnungen heraus
gerechnet und so "verhindert, dass die Versichertengemeinschaft durch
Mehraufwendungen geschädigt wird". Weitere Kliniken verhandeln
offenbar noch mit der AOK. Einige Krankenhäuser verweigern sich
allerdings hartnäckig, die Kosten zu erstatten.
NDR, WDR und SZ fragten einige Kliniken exemplarisch an, die sich
nach ihren Informationen weigern, die Gerätekosten zurückzuzahlen,
unter anderem das Klinikum der Barmherzigen Brüder in Trier. Das
Krankenhaus rechnete Austausch-Operationen nach eigenen Angaben in
vollem Umfang ab, obwohl der Hersteller kostenlose Geräte zugesagt
hatte. Das Klinikum gibt nun an, nicht zu wissen, ob es die
Ersatzgeräte tatsächlich kostenlos erhalten hat. Die Recherche dazu
gestalte sich schwierig, teilte es mit, "da zu diesem Zeitpunkt noch
keine patientenbezogene Zuordnung von Implantaten erfolgte".
Gleichzeitig betont das Klinikum jedoch, dass es sich grundsätzlich
mit den Abrechnungen "vollkommen im Rahmen der entsprechenden
gesetzlichen Regelungen" bewege, also auch bei Fällen, in denen ein
kostenloses Ersatzgerät zur Verfügung gestellt wird.
Andere Kliniken haben entweder gar nicht oder nur mit einem
allgemeinen Statement reagiert. Das Kernargument: Die Abrechnung
erfolge über das System der Fallpauschalen, auf die tatsächlichen
Behandlungskosten komme es dabei nicht an.
Juristisch ist derzeit nicht geklärt, ob eine solche
Abrechnungspraxis rechtmäßig ist. Der Medizinrechtler Andreas
Spickhoff von der Universität München hält sie jedenfalls für "nicht
zufriedenstellend". Er spricht von einem "verkorksten System" und
fordert von der Politik eindeutige klare Regeln. Seiner Ansicht nach
muss sie die Gesetze so ändern, dass kostenlose Ersatzgeräte für
defekte Produkte am Ende nicht den Kassen in Rechnung gestellt werden
dürfen.
Das Bundesgesundheitsministerium sieht offenbar keinen
Handlungsbedarf. Es beurteilt das Vorgehen der Kliniken anscheinend
als rechtens. In einer Antwort auf eine Anfrage von NDR, WDR und SZ
teilte das Ministerium mit, die Höhe der Fallpauschalen würde auf der
Grundlage von Stichproben berechnet. Vergütet würden dann die "im
Durchschnitt entstehenden Kosten". Insofern sei für die Abrechnung
nicht erheblich, ob diese Kosten "auch in Gänze in jedem Einzelfall
entstehen". Das bedeutet also, dass die Kliniken aus Sicht des
Ministeriums weiterhin Ersatzgeräte in vollem Umfang abrechnen,
selbst dann, wenn sie sie kostenlos bekommen haben.
Das ARD-Magazin "Panorama" berichtet über die Abrechnungspraxis
der Kliniken am heutigen Donnerstag, 29. November, ab 21.45 Uhr im
Ersten. Das zur Sendung unter www.panorama.de
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Lara Louwien
Tel.: 040/4156-2312
Mail: l.louwien@ndr.de
http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse
Original-Content von: NDR / Das Erste, übermittelt durch news aktuell
Medizinprodukten. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher
Zeitung lassen sich Krankenhäuser implantierbare Defibrillatoren von
Krankenkassen bezahlen, obwohl sie diese als Ersatz für defekte
Geräte vom Hersteller kostenlos erhalten haben. Der AOK-Bundesverband
wirft den Krankenhäusern vor, sich auf diese Art zu bereichern. Nach
Angaben der Kasse sei allein ihren Versicherten dadurch ein Schaden
von mehreren zehn Millionen Euro entstanden.
Die Kasse geht von einem grundlegenden Problem bei der Abrechnung
von Austauschoperationen aus. Es handele es sich nicht um einen
Einzelfall, sagte Jürgen Malzahn vom Bundesverband der AOK. Pro Jahr
gebe es fünf bis zehn Serienschäden bei unterschiedlichen
Medizinprodukten wie Hüftprothesen oder Brustimplantaten. Wie oft
tatsächlich vom Hersteller kostenlose Ersatzgeräte zur Verfügung
gestellt werden und die Kliniken sie abrechnen, ist unklar.
Im konkreten Fall hatte die Firma St. Jude Medical - heute Abbott
- im Oktober 2016 vor einer vorzeitigen Batterieentladung bei
bestimmten Herzgeräten gewarnt. Es handelte sich um sogenannte
implantierbare Herzdefibrillatoren. Sie können einen kräftigen
Stromstoß abgeben, wenn das Herz aus dem Takt gerät, damit sich der
Herzschlag wieder normalisiert. Sollte sich die Batterie unbemerkt
entleeren, kann das Gerät im Notfall nicht reagieren.
Der Hersteller schrieb damals, wenn die Entscheidung getroffen
werde, das Gerät auszutauschen, stelle St. Jude "ein Ersatzgerät
kostenlos zur Verfügung". Bei wie vielen Patienten dies erfolgt ist,
ist unklar. Der Medizinprodukte-Hersteller Abbott hat auf Anfrage von
NDR, WDR, SZ nicht reagiert. Nach Schätzungen der AOK ließen sich in
Deutschland mehr als 10.000 Patienten ihr Gerät wechseln.
Für diese Austausch-Operationen stellen Krankenhäuser den Kassen
eine pauschale Summe in Rechnung. Die sogenannte Fallpauschale setzt
sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, darunter sind zum
Beispiel Personalkosten und die Kosten für das Implantat. Nach
Auffassung von Jürgen Malzahn vom AOK-Bundesverband hätten die
Kliniken den Anteil für die Herzgeräte abziehen müssen.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht dies so. Auf
Anfrage teilte sie mit, Kliniken müssten die Abrechnung um die
Gerätekosten mindern. Der Kostenvorteil dürfe nicht bei den Kliniken
liegen.
Im Fall der fehlerhaften Defibrillatoren versucht der
AOK-Bundesverband seit zwei Jahren, das Geld zumindest nachträglich
wieder einzutreiben - offenbar ein mühsames Geschäft. Jürgen Malzahn
sagt, die Kliniken informierten die Kassen nicht einmal pflichtgemäß,
so dass sie gar nicht erst erführen, ob und wo nach einem
Serienschaden entsprechende Ersatzgeräte eingesetzt werden.
Inzwischen weiß die AOK nach eigenen Angaben von 146
Krankenhäusern in Deutschland, in denen Patienten Ersatzgeräte
eingesetzt wurden. Etwa die Hälfte der angeschriebenen Kliniken hat
nach Angaben der AOK inzwischen die Kosten für die
Ersatz-Herzdefibrillatoren erstattet, unter anderem das Klinikum
Oldenburg. Es teilte auf Anfrage mit, dem Haus sei es wichtig gewesen
eine Lösung zu finden, "damit keine unbeabsichtigte Bereicherung
unseres Krankenhauses entsteht". Deshalb habe die Klinik den Anteil
für die Implantatkosten nachträglich aus den Rechnungen heraus
gerechnet und so "verhindert, dass die Versichertengemeinschaft durch
Mehraufwendungen geschädigt wird". Weitere Kliniken verhandeln
offenbar noch mit der AOK. Einige Krankenhäuser verweigern sich
allerdings hartnäckig, die Kosten zu erstatten.
NDR, WDR und SZ fragten einige Kliniken exemplarisch an, die sich
nach ihren Informationen weigern, die Gerätekosten zurückzuzahlen,
unter anderem das Klinikum der Barmherzigen Brüder in Trier. Das
Krankenhaus rechnete Austausch-Operationen nach eigenen Angaben in
vollem Umfang ab, obwohl der Hersteller kostenlose Geräte zugesagt
hatte. Das Klinikum gibt nun an, nicht zu wissen, ob es die
Ersatzgeräte tatsächlich kostenlos erhalten hat. Die Recherche dazu
gestalte sich schwierig, teilte es mit, "da zu diesem Zeitpunkt noch
keine patientenbezogene Zuordnung von Implantaten erfolgte".
Gleichzeitig betont das Klinikum jedoch, dass es sich grundsätzlich
mit den Abrechnungen "vollkommen im Rahmen der entsprechenden
gesetzlichen Regelungen" bewege, also auch bei Fällen, in denen ein
kostenloses Ersatzgerät zur Verfügung gestellt wird.
Andere Kliniken haben entweder gar nicht oder nur mit einem
allgemeinen Statement reagiert. Das Kernargument: Die Abrechnung
erfolge über das System der Fallpauschalen, auf die tatsächlichen
Behandlungskosten komme es dabei nicht an.
Juristisch ist derzeit nicht geklärt, ob eine solche
Abrechnungspraxis rechtmäßig ist. Der Medizinrechtler Andreas
Spickhoff von der Universität München hält sie jedenfalls für "nicht
zufriedenstellend". Er spricht von einem "verkorksten System" und
fordert von der Politik eindeutige klare Regeln. Seiner Ansicht nach
muss sie die Gesetze so ändern, dass kostenlose Ersatzgeräte für
defekte Produkte am Ende nicht den Kassen in Rechnung gestellt werden
dürfen.
Das Bundesgesundheitsministerium sieht offenbar keinen
Handlungsbedarf. Es beurteilt das Vorgehen der Kliniken anscheinend
als rechtens. In einer Antwort auf eine Anfrage von NDR, WDR und SZ
teilte das Ministerium mit, die Höhe der Fallpauschalen würde auf der
Grundlage von Stichproben berechnet. Vergütet würden dann die "im
Durchschnitt entstehenden Kosten". Insofern sei für die Abrechnung
nicht erheblich, ob diese Kosten "auch in Gänze in jedem Einzelfall
entstehen". Das bedeutet also, dass die Kliniken aus Sicht des
Ministeriums weiterhin Ersatzgeräte in vollem Umfang abrechnen,
selbst dann, wenn sie sie kostenlos bekommen haben.
Das ARD-Magazin "Panorama" berichtet über die Abrechnungspraxis
der Kliniken am heutigen Donnerstag, 29. November, ab 21.45 Uhr im
Ersten. Das zur Sendung unter www.panorama.de
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Norddeutscher Rundfunk
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Lara Louwien
Tel.: 040/4156-2312
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